Fritsche (2013): Homemade men
Peter Pirker
2016
Austrian Journal of Political Science
Die Historikerin Maria Fritsche untersucht in ihrer Studie zum österreichischen Nachkriegskino bis 1955 die Frage, wie im weitaus bedeutendsten Feld der modernen Unterhaltungskultur Männlichkeit als soziale Rolle im Kontext der Nationsbildung verhandelt, neu akzentuiert und beworben wurde. Ihre Ausgangsthese ist, dass Männlichkeit zu einem zentralen Thema des populären Films wurde, weil der Zweite Weltkrieg mit der Niederlage der Wehrmacht -1,2 Millionen Österreicher dienten in der Armee
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... schlands -und der folgenden alliierten Okkupation die traditionellen Geschlechterbeziehungen in Österreich destabilisiert hat, ausgedrückt in einem Verlust an politischer, ökonomischer und symbolischer Macht einheimischer Männer. Damit war nicht nur ein Angelpunkt der gesellschaftlichen Ordnung fundamental in Frage gestellt. Die Rekonstruktion von Männlichkeit hatte zudem in einem völlig neuen und unsicheren politischen Setting zu erfolgen, nämlich im nation building des von den Alliierten errichteten Nationalstaates Österreich, der sich im Unterschied zur fehlgeschlagenen Staatsbildung nach dem Ersten Weltkrieg nicht nur territorial von Deutschland, sondern auch im Nationsbewusstsein kulturell von den Deutschen abgrenzen sollte. Fritsche weist in der Einleitung mit Nachdruck darauf hin, dass dem österreichischen Kino eine Schlüsselrolle bei der Formulierung von Vorstellungen über eine österreichische Nation zukam. In Anlehnung an eine These von John Tosh, wonach in Zeiten der Entstehung von nationaler Identität "dominant masculinity is likely to become a metaphor for the political community as a whole" (4), nimmt sie die Verhandlungen von Männlichkeitsrollen in Kinofilmen unter die Lupe, um darin "national ideals of masculinity" (ebd.) zu erkennen. Theoretisch knüpft Fritsche an das Konzept der hegemonialen Männlichkeit von R. W. Connell an, mit dem herausgearbeitet werden soll, welche maskulinen Normen und Praktiken gegenüber anderen möglichen bzw. präsenten von den politisch und gesellschaftlich dominanten Kräften präferiert und über den Weg der Konsensbildung durchzusetzen versucht werden. Mit diesem Komplex politischer, ökonomischer und sozialer Rahmenbedingungen beschäftigt sich Fritsche eingehend im ersten Kapitel ihrer Studie. Sie kommt dabei zum Schluss, dass die politischen Eliten das öster reichische Kino sowohl als eine lukrative Quelle für Staatseinkommen als auch ein Instrument der Nationsbildung betrachteten. Die Filmindustrie setzte in ihrem Streben nach günstigen Produktions-und Verwertungsbedingungen darauf, positive und harmonisierende Images von Österreich zu projizieren, die auch dort, wo sie den Nationalsozialismus thematisierte, mit Hilfe von Figuren moralischer Erhabenheit Entlastung von historischer Schuld brachten. Während soziale und politische Konflikte kaum eine Rolle spielten, waren Geschlechterrollen und Österreich-Bilder häufige Topoi direkter und indirekter Thematisierung, je nach Genre in unterschiedlicher Ausprägung. Fritsche analysiert 140 Kinofilme und damit etwa fast zwei Drittel aller 212 zwischen 1946 und 1955 produzierten Streifen. Ihre Ergebnisse präsentiert sie in vier Kapiteln, die den typischen Genres gewidmet sind: dem historischen Kostümfilm, dem Heimatfilm, dem Touristenfilm und der Komödie. Dabei unterzieht sie die Filme einer textlichen Analyse hinsichtlich der präsentierten Wertorientierungen und diskutiert sie prägnant im Kontext von Produktionsbedingungen, Popularität, medialer Rezeption und gesellschaftspolitischen Entwicklungen. Das Kontextwissen generiert sie aus zeitge-Book Review OPEN ACCESS
doi:10.15203/ozp.1141.vol45iss1
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