Interview with Gabriele Eckart
Klaus Plonien
1990
GDR Bulletin
Plonien, Klaus (1990) "Interview with Gabriele Eckart," GDR Bulletin: Vol. 16: Iss. 1. https://doi.org/10.4148/gdrb.v16i1.928 Schulze: Ich habe in der DDR achteinhalb Bücher veröffentlicht (einen Reportageband schrieb ich mit einem Kollegen). Ich habe meinen Stil und mein Thema gefunden. Von mir liegen in den verschiedenen Medien vier Manuskripte vor. an die nur noch letzte Hand zu legen wäre. Darüber hinaus einen neuen Gedichtband, in den nun auch Gedichte aufgenommen werden können, die aus
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... verschiedensten Gründen unveröffentlicht geblieben sind. Ich habe die Hoffnung, ja, die Gewißheit, daß es eigentlich nur noch besser werden kann. Zumal nun wohl mehr Individualität. Qualität und Erfahrung, und weniger die Proklamationen sentimentaler und politischer Scharlate gefragt sind. Cedar Falls, 6.2.1990 INTERVIEW MIT GABRIELE ECKART Gabriele Eckart wurde 1954 in Auerbach (DDR) geboren. Sic veröffentlichte Per Anhalter (DDR 1982), So .sehe ick die Sache: Protokolle aus der DDR (BRD 1984) und Wie mag ich alles, was beginnt (BRD 1987). Das Interview wurde geführt von Klaus Plonicn. Ph.D.-Student am German Department. University of Minnesota. Plonien: Du hast das letzte halbe Jahr zum größten Teil in West-Deutschland verbracht und die Ereignisse in der DDR sozusagen aus nächster Nähe miterlebt, anders als dies in den USA der Fall gewesen wäre. Welche Eindrücke hast du dort gewonnen? Eckart: Es war für mich furchtbar aufregend, insbesondere weil ich es nicht vorausgesehen hatte. Als ich die DDR 1987 verließ, ahnte ich zwar, daß sich langfristig auch was ändern muß durch die Veränderungen in der Sowjetunion, doch ich hatte nicht für möglich gehalten, daß es so schnell geht. Warum nicht? Wegen der Macht der Staatssicherheit. Ich hatte den Eindruck, wie fast alle in der DDR, daß diese Staatssicherheit die Bevölkerung vollkommen beherrscht, was ja leicht ist-die DDR ist ein sehr kleines Land-daß deshalb eine Revolution in den nächsten Jahren nicht möglich sei. Hinzu kommt, daß die DDR in Deutschland liegt. Der deutsche Charakter ist nicht revolutionär: die Deutschen neigen zum Opportunismus, solange sie satt sind. Und es herrschte immerhin ein ziemlich guter Lebensstandard in der DDR im Vergleich zu anderen osteuropäischen Ländern. Ich glaubte, solange die DDR-Bürger materiell relativ zufrieden sind, gehen sie einfach nicht dieses Risiko ein, angesichts der Panzer, angesichts ihres Wissens um den Schießbefehl, auf die Straßen zu gehen und zu demonstrieren. Aber man hat mir gesagt, daß während der zwei Jahre, in denen ich nicht mehr in der DDR war, die Stimmung auf den Tiefpunkt sank. Der Frust ist so stark geworden, auch weil immer mehr Leute in den Westen flüchteten. Sie hinterlassen ja Löcher in ihrem Freundeskreis, ihrer Familie. Aufgrund der furchtbaren gesellschaftlichen Erstarrung und der damit verbundenen Hoffnungslosigkeit gingen vor allem die jungen Leute in immer größeren Zahlen weg, obwohl sie in der DDR materiell gesehen kein schlechtes Leben hatten und wußten, in West-Deutschland herrscht Arbeitslosigkeit. Trotzdem müssen wir uns sagen, daß das alles ohne Gorbatschow nicht möglich gewesen wäre. Als die Mauer fiel, das sah ich im Fernsehen, und die Ostberliner in der Nacht und am nächsten Tag in West-Berlin auf den Straßen tanzten, fragte ein westdeutscher Fernsehreporter die tanzenden Arbeiter aus der DDR, wer denn der Held dieses Tages sei. Da waren sie erst ratlos. In diesem Moment schob sich langsam ein Bus vorbei mit so einer komischen Wodkareklame, irgendwie war darin Gorbatschows Name enthalten, da zeigten sie alle darauf und riefen "das ist der Held des Tages." Ohne ihn wäre der Aufstand zu Ende gegangen wie 1953 oder 1956 in Ungarn oder 68 in der CSSR. Und natürlich hat das Wissen darum die Leute ermutigt, sie wußten, die russischen Panzer in der DDR werden diesmal nicht eingreifen, der Staatsapparat müßte das eigene Volk niederschlagen, die eigene Volksarmee und die Staatssicherheit müßten das tun. Aber mich erstaunt dennoch, daß die Leute das gewagt haben. Und mich wundert auch, daß es so friedlich abging und nicht wie in Rumänien. Ich hatte fest damit gerechnet, die Staatssicherheit würde sich so verhalten wie es die Securitate getan hat. Stattdessen klappte dieser monströse, bis an die Zähne bewaffnete Machtapparat beinahe lautlos -wie ein Kartenhaus -zusammen. Ich saß Tag und Nacht vorm Fernseher und hab dann sofort meine Verwandten eingeladen, wir haben im Westen den Einsturz der Mauer gefeiert. Plonien: Wie stark, glaubst du, ist der Einfluß der in der DDR immer präsenten westdeutschen Medien auf die DDR-Führung gewesen, sowie die Tatsache, daß viele DDR-Bürger während des Sommers in die Bundesrepublik übergewechselt sind? Eckart: Daß sich überhaupt, nicht nur von unten, sondern auch von oben ein bißchen was bewegte, daß also wenigstens erstmal der Honecker abgelöst wurde, wenn auch nur durch den Krenz, das kam zweifellos dadurch zustande, daß unter den Funktionären aufgrund der Fluchtwelle über Ungarn und die CSSR Panik ausbrach. Natürlich haben die westdeutschen Medien die Fluchtwelle genüßlich ausgekostet, beispielsweise als die Botschaftsbesetzer aus der westdeutschen Botschaft in Prag zu Tausenden in die Bundesrepublik kamen, in vollen Zügen, da berichtete das Fernsehen rund um die Uhr davon. In diesem Augenblick brach in der Parteiführung in der DDR Panik aus, "jetzt ist ein Loch im eisernen Vorhang, jetzt läuft uns die ganze Bevölkerung davon," und sie versuchten, von oben was zu korrigieren, nämlich die allerschlimmsten Stalinisten abzusetzen und eine mildere Form von Stalinismus einzuführen, um dadurch den Ausreisestrom zu stoppen. Was natürlich die Bevölkerung ausgenutzt hat. Wenn man dieser verständlicherweise verdrossenen, ja wuterfüllten Bevölkerung den kleinen Finger reicht, nimmt sie die ganze Hand. Ich meine, die Parteiführung, gewöhnlich über die Stimmung im Volk schlecht informiert, hat erst aus dem Westfernsehen vom Ausmaß des Frustes im eigenen Land erfahren. Plonien: Glaubst du. daß die Bilder aus dem Westfernsehen, wie du sagtest, die vollen Züge, die Botschaftsbesetzungen während des Sommers, dazu beigetragen haben, das Feuer anzufachen? Eckart: Ja, natürlich. Aber es wäre auch so gekommen, vielleichtein paar Wochen später. In Rumänien, oder in der CSSR, da gab es kein zweites Land mit der gleichen Sprache, dessen Medien empfangen werden konnten. Plonien. Die Ungarn in Rumänien können ungarisches Fernsehen empfangen. Eckart: Ja, stimmt. Plonien: Wenn du jetzt auf die veränderten und sich ständig verändernden Verhältnisse in der DDR guckst, was glaubst du, was ändert sich für die Schriftsteller, sowohl in der DDR als auch für diejenigen, die die DDR verlassen haben? Eckart: Das hängt davon ab. in welche Richtung sich die DDR verändert. Es ist durchaus möglich, daß die SED die Wahl gewinnt im März und zwar deshalb, weil sie die Medien in der Hand hat, die Infrastruktur. Die Oppositionsparteien, das sind sehr viele und werden jeden Tag mehr, sind zersplittert, haben keine Zeitung, keine Medien, sie haben gar keine Möglichkeit, für ihr Programm zu werben; teils haben sie noch kein Programm, die meisten haben keine interessanten Führerpersönlichkeiten, während Modrow und Gysi charismatische Typen sind. Und das Heer von Mitläufern, von Leuten, die Schuld auf sich geladen haben, von Spitzeln, von ehemaligen Mitarbeitern der Staatssicherheit, kurz, von Nutznießern des alten Systems, die werden natürlich die SED wählen... Der Rest der Bevölkerung, wird jeweils 'ne 4
doi:10.4148/gdrb.v16i1.928
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