Arbeit am Goethe-Mythos
Reinhard Mehring
2015
Zeitschrift für Ideengeschichte
Nach Blumenbergs «Tod im Jahr 1996 sind mehr Bücher unter seinem Namen auf dem Markt erschienen, als er selbst zwischen 1960 und 1989 zum Druck brachte, und es ist fraglich, ob er zu allem sein Imprimatur gegeben hätte», bemerkt sein jüngster Herausgeber Ahlrich Meyer erfrischend offen. Schon zu Lebzeiten war Blumenbergs Werk zwar nicht gerade unscheinbar; Suhrkamp baute sein philologisches Philosophieren nun aber auf der Basis schier unerschöpflicher Zettelkästen zu einem jüngsten und letzten
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... lassiker der alten Geisteswissenschaften auf. Ein unlängst im Hausverlag erschienener Roman von Sibylle Lewitscharoff (Blumenberg, 2011) zeigte, dass nicht jedem Jünger des Philosophen ein emblematischer Löwe oder Trost der «Dame Philosophie» zur Seite steht. Den Jüngern Blumenbergs fehlen im Roman die rechten Strategien der Selbstbehauptung und sie enden im suizidalen Liebestod, Mord und Wahnsinn. Blumenbergs Werk ist nichts für schwache Gemüter; seine stupende Gelehrsamkeit ist in hohem Maße kommentierungsbedürftig und seine Manier verleitet zu ausufernden Editionen. Die Anmerkungen und Nachworte der hier anzuzeigenden Editionen sind umfangreicher als die gebotenen Blumenberg-Texte selbst. Es wäre durchaus möglich gewesen, die beiden neuen Veröffentlichungen unter einen Buchdeckel zu packen. Beide sind aber in der vorliegenden Form mit klugen Nachworten auch für sich genommen höchst inspirierend. Sie zeigen Blumenberg als politischen Autor. Blumenberg wurde 1920 geboren, im Nationalsozialismus als «Halbjude» verfolgt und Anfang 1945 noch zur Zwangsarbeit deportiert. Politische Fragen umging er in seinen Schriften zeitlebens. Ausgerechnet mit dem nationalsozialistischen «Kronjuristen» Carl Schmitt führte er in den siebziger Jahren aber eine intensive Auseinandersetzung und Korrespondenz. In seinem Letztwerk Politische Theologie II hatte Schmitt seine Auseinandersetzung mit der «Erledigungsthese» seines einstigen Bonner Weggefährten Erik Peterson durch eine kritische Auseinandersetzung mit Blumenbergs Verteidigung der Legitimität der Neuzeit abgerundet. Er sah Blumenberg in der Linie seines Bonner Kritikers als aktuellen Anwalt der Erledigungsthese oder «Legende von der Erledigung» seiner Perspektive «Politischer Theologie» an. Blumenberg nahm Schmitts Einwände so ernst, dass er zunächst den einschlägigen Teil seiner Studie überarbeitete und als Säkularisierung und Selbstbehauptung gesondert publizierte. Der Titel exponiert antipodische Stichworte: Schmitts Säkularisierungsthese stellt Blumenberg nun die präzisere Rede von epochaler Selbstbehauptung entgegen. 1979 ließ er dann seine umfangreiche Studie Arbeit am Mythos folgen, die auch und vor allem gegen Schmitt geschrieben ist. Blumenberg zeigte Schmitt nun, wie zutreffend dessen Einordnung in die Linie Petersons war. Die Nachlasspublikation «Präfiguration» publiziert ein ausgeschiedenes Kapitel, das «ursprünglich» -laut dem vorzüglichen und weit ausgreifenden Nachwort der Herausgeber -für die Arbeit am Mythos bestimmt war und dort vielleicht auf den Schmitt-Teil hätte folgen sollen. Die Zuordnung ist jedoch editorisch unsicher. Als «Präfigurationen» erörtert Blumenberg jedenfalls mythopolitische Selbst identifikationen Hitlers im Rückgriff auf Vorgänger wie Napoleon und Friedrich II. Detailliert beschreibt er Hitlers Griff ins mythische Arsenal und Goebbels' propagandistische Stützung des «narzisstischen» Kurzschlusses von «Lebenszeit» auf «Weltzeit»: Hitler war der paranoischen Über-R ei n h a r d M eh r i ng
doi:10.17104/1863-8937-2015-4-125
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