Antisemitismus als Rechtsbegriff. Wann ist Israelkritik antisemitisch und wann ist sie es nicht?

Lothar Zechlin
2021 Kritische Justiz  
Wann ist Israelkritik antisemitisch und wann ist sie es nicht? Thema, Ziel und Vorgehensweise Am 18. Juni 2020 hat der Bundestag das "Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität" verabschiedet. 1 Es erweitert u.a. die Merkmale, die nach § 46 StGB für die Strafzumessung maßgebend sind. Künftig sind nicht nur "rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende", sondern zusätzlich "antisemitische" Beweggründe und Ziele der Täter zu berücksichtigen. Erstmals
more » ... muss somit der Begriff "Antisemitismus" als Rechtsbegriff präzisiert werden. Das ist der Anlass für diesen Aufsatz. Sein Ziel besteht nicht in einer Vertiefung strafrechtlicher Aspekte, sondern darin, zu der Entwicklung eines allgemeineren rechtlichen Verständnisses von Antisemitismus beizutragen, das in Wissenschaft und Rechtsprechung noch zu konkretisieren wäre. Was Antisemitismus ist, ist an sich nicht schwer zu verstehen. Über alle seine religiösen, rassistischen, kulturellen u.a. Ausprägungen hinweg ist der Begriff eine Sammelbezeichnung für die "Feindschaft gegen Juden als Juden", 2 wobei die Betonung auf den beiden letzten Worten liegt. Menschen werden diskriminiert, nur weil sie Juden sind oder dafür gehalten werden. Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben sich jedoch, wenn die politische Rolle Israels im Nahostkonflikt kritisiert wird. Sie stehen im Zentrum dieses Beitrags. Wann diese sog. "Israelkritik" antisemitisch ist und wann nicht, ist eine höchst umstrittene Frage, wie jüngst an den Auseinandersetzungen über eine nicht gehaltene Rede des afrikanischen Philosophen Achille Mbembe 3 deutlich wurde. Ihre Beantwortung setzt voraus, "Judentum, Zionismus und Israel wenigstens begrifflich (...) auseinanderzuhalten: Nicht alle Juden sind Zionisten; nicht alle Zionisten sind Israelis; nicht alle Israelis sind Juden", wie der israelische Soziologe Moshe Zuckermann schreibt. 4 Objektiv ist "Feindschaft gegen Juden als Juden" durch ein Verhalten gekennzeichnet, das sich gegen tatsächliche oder vermeintliche Juden richtet. Da sich Israelkritik nicht gegen "die Juden", sondern den Staat Israel wendet, scheint sie von Antisemitismus leicht unterscheidbar zu sein. Dieser Eindruck trügt aber, da Israel eng mit der politischen Idee 1.
doi:10.5771/0023-4834-2021-1-31 fatcat:ekvneij7b5bwlkmrqv7kjbc5ve