Situation der Architektur 1940

Peter Meyer
1940
Heft 9 Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-22271 PDF erstellt am: 21.07.2020 Nutzungsbedingungen Die ETH-Bibliothek ist Anbieterin der digitalisierten Zeitschriften. Sie besitzt keine Urheberrechte an den Inhalten der Zeitschriften. Die Rechte liegen in der Regel bei den Herausgebern. Die auf der Plattform e-periodica veröffentlichten Dokumente stehen für nicht-kommerzielle Zwecke in Lehre und Forschung sowie für die private Nutzung frei zur Verfügung. Einzelne Dateien oder
more » ... aus diesem Angebot können zusammen mit diesen Nutzungsbedingungen und den korrekten Herkunftsbezeichnungen weitergegeben werden. Das Veröffentlichen von Bildern in Print-und Online-Publikationen ist nur mit vorheriger Genehmigung der Rechteinhaber erlaubt. Die systematische Speicherung von Teilen des elektronischen Angebots auf anderen Servern bedarf ebenfalls des schriftlichen Einverständnisses der Rechteinhaber. Haftungsausschluss Alle Angaben erfolgen ohne Gewähr für Vollständigkeit oder Richtigkeit. Es wird keine Haftung übernommen für Schäden durch die Verwendung von Informationen aus diesem Online-Angebot oder durch das Fehlen von Informationen. Dies gilt auch für Inhalte Dritter, die über dieses Angebot zugänglich sind. Ein Dienst der ETH-Bibliothek ETH Zürich, Rämistrasse 101, 8092 Zürich, Schweiz, www.library.ethz.ch http://www.e-periodica.ch DAS WERK HEFT 9 SEPTEMBER 1940 Situation der Architektur 1940 Vorbemerkung Es ist dem Redaktor gelegentlich bedeutet worden, seine Aufsätze seien zu lang. Diese Länge bedauert niemand mehr als er selbst, aber es gibt Gegenstände, über die sich nun einmal nur mit einer gewissen Ausführlichkeit handeln lüsst. wenn die Kürze nicht zu Missverständnissen führen soll. Und vielleicht ist es doch nötig, dass heute in dem einzigen Land, in dem eine objektiv-theoretische Betrachtung der Architektur in deutscher Sprache möglich ist, diese Bemühung um begriffliche Klärung einer höchst komplexen Situation auch wirklich unternommen wird. p. m. I. «Reaktion» Ueber Nacht ist das Gespenst des Historismus in der Architektur und im Kunstgewerbe wieder aktuell geworden, das viele endgültig in die hintersten Rumpelkammern verjährten Aberglaubens verbannt glaubten. Aber mit einer halb belustigten und halb entsetzten Brandmarkung dieser Reaktion-» ist nichts geholfen und nichts erklärt. Ein Zurückdrehen der Zeit hat es nie gegeben: was manchmal so aussieht, ist stets nur ein Nachholen von Versäumtem, ein Wiederaufleben von Problemen, die man mit Schlagwörtern betäubt, statt gelöst hatte. Durch die gewaltsame Unterdrückung unliebsamer Positionen wird aber die Verrechnung gegensätzlicher Meinungen lediglieh abgedrängt vom Feld der Diskussion auf das der Rachesoviel sollte man aus der neueren Psychologie und aus der neuesten Weltgeschichte gelernt haben. Man ist also durch das Schlagwort «Reaktion > nicht davon dispensiert, zu prüfen, welche, wie ipso facto erwiesen wird, lebendigen Kräfte hier eigentlich reagieren, wogegen sie reagieren und in welcher Richtung. Die historisierenden Regungen mögen noch so absurd scheinen: wenn sie nicht ganz bestimmten Bedürfnissen der Gegenwart entsprechen würden, fänden sie keinen Anklang; das gilt heute so gut wie für den Historismus der Achtzigerjahre. Man komme also nicht mit dem Einwand, historisierende Formen seien schon darum Unsinn, weil sie nicht <der Ausdruck der Gegenwart» seien: freilich sind sie dies, denn wenn eine Epoche historisierend baut, so ist eben dieser Historismus der Ausdruck der betreffenden Epoche oder doch eine ihrer Ausdrucksmöglichkeiten, neben der sie vielleicht noch ganz andere, gegensätzliche Ausdrucksmöglichkeiten besitzt. Es ist nämlich ein Vorurteil, zu glauben, jede Epoche könne nur ein Gesicht haben und müsse nach einer Formel aufgehen. Dass die Welle von Nationalismus, die durch unsere Zeit geht, auch in der Architektur ihren Niederschlag finden würde, versteht sich von selbst; es war in den Zwanzigerjahren mit der Welle des Internationalismus nicht anders, und was damals über die nötige Gegenwartsbezogenheit der Künste gesagt wurde, gilt ebenso heute. Und wenn die kulturelle und die davon nicht zu trennende politische Entwicklung heute zu einer neuen Betonung echter oder auch nur vermeintlicher Beziehungen zur Vergangenheit führt, so ist daran jedenfalls vom Boden der Architektur aus nichts zu ändern, denn die Architektur war niemals eine autonome Kulturprovinz, die sich auf die Dauer im Gegensatz zur öffentlichen Meinung hätte entwickeln können. Wenn die Architektur also nicht einfach mit schlechtem Gewissen und in schlechter Laune hinter dem, was von ihr gefordert wird, nachhinken will, muss sie sich entschlossen mit dem Problem des Historismus auseinandersetzen und zusehen, wo sie eigentlich steht. 241
doi:10.5169/seals-22271 fatcat:d6tqxci6wnbajpy5xh2uujuvci