Zur Pathologie des Wurmfortsatzes

Hugo Ribbert
1903 Deutsche Medizinische Wochenschrift  
In einer Arbeit "Beiträge zur normalen und pathologischen Anatomie des Wurmfortsatzes" (\.Tirohow's Archiv Bd. CXXXII) habe ich neben Beobachtungen, die sich auf die Bildung und den Bau der "Kothsteine" beziehen, Mittheilungen gemacht über die bald darauf auch von Zuckerkandi (Anatomische Hefte Bd. IV) beschriebene Häufigkeit einer Obliteration des Wurmfortsatzes. Ich fand ihn mit dem zunehmenden Alter in immer grösserer Zahl theilweise oder ganz verschlossen, sodass bol Greisen mehr als die
more » ... fte der untersuchten Individuen die Obliteration aufwies. Ich kam, wie Zuckerkandl, zu dem Schlusse, dass es sich bei diesem Befunde nicht um die Folgen von Entzündungen handeln könne, dass vielmehr ein selbständiger Involutionsprozess vorliegen müsse. Dieser Auffassung des Obliterationsvorganges hat sich inzwischen Sudsuki (Mittheilungen aus den Grenzgebieten Bd. VII) angeschlossen. Aber sie hat manchen Widerspruch gefunden. Man ist vielfach der Ansicht, dass der Verschluss des Lumens auf die bekannten Entzündungsprozesse zurückzuführen sei. Das ist aber aus verschiedenen Gründen unmöglich. Denn erstens müssten die Entzündungen, wenn sie der Oblitèration zu Grunde lägen, ausserordentlich häufig sein, sie müssten, nach der Zahl der Atresieen zu schliessen, bei mehr als der Hälfte der Menschen vorgekommen sein. Das trifft aber zweifellos nicht zu. Die Entzündungen des Wurmfortsatzes spielen zwar eine bedeutsame Rolle, werden aber doch nur bei einem relativ kleinen l3ruchtheil der Menschen beobachtet. Es kommt aber hinzu, dass die Zahl der Entzündungen noch wesentlich höher angenommen werden müsste, als es nach der Menge der Obliterationen nöthig wäre. Denn zu diesen müssten ja einerseits alle die operativ mit Exstirpation des Wurmfortsatzes behandelten und die tödtlich endenden, ferner aber auch die Fälle hinzugerechnet werden, die ohne Verschluss des Lumens zur Heilung kommen. Denn wir finden nicht ganz selten peritonitisehe, aus früheren Erkrankungen des Appendix abzuleitende Verwachsungen mit der Umgebung, ohne dass die Durchgängigkeit des Lumens aufgehoben wäre. Wenn nun aber nicht einmal unzweifelhafte Entzündungen zur Atresie zu führen brauchen, dann dürfen wir umgekehrt nicht ohne weiteres voraussetzen, dass die so ausserordentlich zahlreichen Obliterationen bei Individuen, die niemals Erscheinungen von Perityphiitis hatten, durch Entzündungen bedingt waren. Weiterhin hebe ich hervor, dass der Verschluss des Wurmfortsatzes, so weit er auf den angenommenen Involutionsprozess bezogen wurde, immer am Ende beginnt und gegen das Coecum fortschreitet. Entzündliche Atresieen würden sich in einem grossen, wahrscheinlich dem überwiegenden Theile der Fälle, nicht so verhalten. Sie werden gern in der Continuität des Kanales auftreten und ihn eine Strecke weit unterbrechen, denn die akuten Entzündungsprozesse, deren Folgen sie sind, umfassen gewöhnlich nur umschriebene Abschnitte im Verlaufe des Kanales, und nur in einem Theile der Fälle sind sie an seinem Ende lokalisirt. Wenn feriier die Obliteration aus Entzündungen hervorginge, so könnte sie nicht so regelmässig mit dem Alter zunehmen. Denn die meisten Erkrankungen des Wurmfortsatzes fallen in die Jugend, treten vor dem 30. Lebensjahre auf. Nach diesem Zeitpunkte müsste deshalb der Appendix schon in einer weit grösseren Zahl verschlossen sein, als es thatsächlich der Fall ist. Ill Wirklichkeit findet sich aber nach meiner Zusammenstellung die Obliteration zwischen dem 30. und 40. Jahre nur in 25°/e gegen 58°/e bei Greisen. Endlich macht der typische Verschluss auch histologisch nicht den Eindruck, als sei er aus Entzündungen hervorgegangen. Das obliterirende Gewebe hat keinerlei narbigen Charakter und ist in ziemlich regelmässiger Weise radiär zur Mitte angeordnet. Aber dieser Befund ist nicht so maassgebend, wie ich anfangs annahm. Denn Sudsuki und Lanz haben angegeben, dass auch unzweifelhaft entzündliche Atresieen dieselben Strukturverhältnisse des verschliessenden Gewebes erkennen liessen. Aber da andererseits die aus akuten Prozessen hervorgegangenen Obliterationen zum Theil deutlich einen unregelmässigen, narbigen Bau haben, so sollte man ihn auch nicht selten bei den typischen Verschlüssen erwarten, wenn sie auf Entzündungen beruhten. Ich habe das aber nie gesehen. Aus allen diesen Gründen halte ich also daran fest, dass die mit dem Alter zunehmenden Obliterationen nicht durch die gewöhnlichen akuten Erkrankungen des Wurmfortsatzes bedingt sein können. Aber auch meine frühere Auffassung von dem Zustandekommen der Atresie scheint mir heute nicht mehr zutreffend zu sein, ich war damals der Meinung, dass die Erklärung lediglich in dem Umstande gesucht werden könne, dass der Wurmfortsatz ein rudimentäres Organ ist, welches seinem schliesslichen völligen Untergang entgegengeht. Der Verschluss des Lumens sei also nur eine Theilerscheinung eines phylogenetischen Vorganges und verlange deshalb keine andere Deutung, als der Schwund des Processus vermiformis überhaupt. Aber bei genauerer Ueberlegung musste ich mich fragen, ob denn die Involution als phylogenetiseher Prozess nothwendig mit Obliteration verbunden sein müsse und ob nicht vielmehr zu erwarten wäre, dass sie lediglich in fortschreitender Verkleinerung des Wurmlortsatzes ihren Ausdruck finden würde. In der That schien mir diese Auffassung näher zu liegen. Wäre dem aber so, dann würde die Obliteration nicht lediglich als Ausdruck der Involution aufgefasst werden können, sie träte zu dieser erst hinzu, wenn auch in einem nothwendigen inneren Zusãmmenhange. Diese Frage musste geprüft werden. Ich ging aus von den bekannten Entzündungsprozessen des Wurmfortsatzes, die ich an einem gut conservirten Materiale studiren konnte. Es stammte in erster Linie von Herrn Prof. Rehn in Frankfurt a. M., der mir die Verarbeitung der von ihm operativ gewonnenen Präparate vorgeschlagen hatte. Die Untersuchungen habeii zwar keine wesentlich neuen Resultate ergeben, sollen aber unter den uns hier interessirenden Gesichtspunkten in Kürze betrachtet werden. Die akuten entzündlichen Erkrankungen umfassen von Anfang an niemals den ganzen Wurmfortsatz. Es sind zunächst Heruntergeladen von: NYU. Urheberrechtlich geschützt.
doi:10.1055/s-0028-1138500 fatcat:mis6tvjljjdtxjikrooaqcow24