Rezension: "Okrzyki pogromowe – Szkice z antropologii historycznej Polski lat 1939-1946" / Joanna Tokarska-Bakir. Warszawa: Wydawnictwo Czarne, 2012. ISBN 8375364517

Eva Reder, Digitale Wissenschaftsplattform Pol-Int (Www.Pol-Int.Org)
2020
Die polnische Kulturanthropologin Joanna Tokarska-Bakir hat eine Sammlung ihrer zum Großteil bereits veröffentlichten Aufsätze vorgelegt, Skizzen aus dem polnisch-jüdischen Alltag während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Tokarska-Bakir gelingt es, die Bedeutung des Ritualmordmotivs für die antisemitischen Pogrome in Polen 1945/46 sowie dessen Stellenwert in der Nachkriegsgesellschaft zu bestimmen. Dieser Aspekt fand bis dato in der Historiografie zu wenig Berücksichtigung.[1] Lange spielte die
more » ... deutung des Ritualmordmotives sowie die Frage, wie und warum Aggressionen in der Öffentlichkeit geäußert wurden und was sie über die polnische Nachkriegsgesellschaft aussagen, nur eine marginale Rolle. Man konzentrierte sich stattdessen auf ökonomische sowie politische Aspekte der Pogrome.[2] Auch Jan Tomasz Gross bezweifelte, dass Ritualmordlegende und das Bild der "Żydokomuna" großen Einfluss auf die Pogrome gehabt hätten, und führt stattdessen ökonomisch-moralische Erklärungen an. Ihre Studien zum Mord an Juden durch verschiedene polnische Partisaneneinheiten und Zivilisten in der Region Kielce/Sandomierz vermitteln anschaulich die "moral economy" der südostpolnischen Provinz sowie das Selbstbild der polnischen Augenzeugen. Dabei werden in den betreffenden Kapiteln Ergebnisse der oral history, in diesem Fall Zeitzeugeninterviews aus den 2000er Jahren, mit der Auswertung schriftlicher Quellen kombiniert. Indem die Autorin die jeweiligen Akteure - ob Zeitzeugen aus dem Dorf oder hochrangige kommunistische Funktionäre – ausgiebig sprechen lässt, erschließt sich dem Leser der sozio-kulturelle Kontext von Erinnerung, Vorurteilen und Aggressionen in der polnischen Gesellschaft.
doi:10.11584/opus4-710 fatcat:zuh6hsbzkjeilgde35v5jrjllu