Wie kann man heute noch an Gott glauben?
Peter Henrici
2022
Überlegungen eines philosophierenden Bibellesers Der Glaube an Gott ist heute objektiv schwieriger geworden als in früheren Zeiten. Die Antike und das Mittelalter stellten sich einen Kosmos vor, den der Himmel abschloss und in dessen Mitte die Erde ruhte. So war es relativ leicht, an einen außerkosmischen Gott zu glauben, der diesen Kosmos bewegte oder ihn gar geschaff en hatte. Die kopernikanisch-galileische Wende brachte eine erste Erschütterung, weil sie die Erde zu einem von mehreren
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... n machte, die um die Sonne als Mittelpunkt kreisten. Gott musste nun als Schöpfer und Ordnungshüter des Sonnensystems betrachtet werden. Das war beispielsweise die Sichtweise Newtons, und sie ging so lange gut, als man den Fixsternhimmel in seiner irrationalen Unregelmäßigkeit «wie Pusteln in einem Gesicht» (Hegel) außer Betracht ließ. Weiter ausblickende Denker wie Giordano Bruno und Blaise Pascal zeigten sich schon damals von der Unendlichkeit der Weltalls beunruhigt: «Das ewige Schweigen dieser unendlichen Räume erschreckt mich.» 1 Heute müssen wir davon Kenntnis nehmen, dass sich unser Sonnensystem irgendwo am Rande der Milchstraße befi ndet, die nur einer unter vielleicht Milliarden ähnlicher Spiralnebel ist. Wo bleibt da, objektiv gesehen, noch Platz für Gott? Das ist der objektive Befund, auch wenn wir gefühlsmäßig-spontan immer noch eher in der antik-mittelalterlichen Welt leben, trotz dem kleinen Hopser zum Mond, den uns die Raumfahrt erlaubt hat. Was von der räumlichen Unvorstellbarkeit des Universums gilt, gilt auch von seiner zeitlichen. Die sieben Tage der Schöpfungsgeschichte und die viertausend Jahre der biblischen Zeitrechnung sind längst zerplatzt. Auch da werden wir angeleitet, nur schon in der Geschichte unserer kleinen Erde, ja des Lebens auf dieser Erde in Millionen von Jahren zu denken, während unser Leben «siebzig Jahre währt, und wenn es hoch kommt, sind es acht-
doi:10.57975/ikaz.v42i6.6075
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