Zwischen ästhetischer Autonomie und politischer Praxis: zur Inszenierung zeitgeschichtlicher Dokumente

Soenke Zehle
2011 Zenodo  
»Empört Euch!«, überschreibt der 93-jährige Stéphane Hessel — Resistance-Mitglied, KZ-Überlebender, Mitverfasser der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte — seinen aktuellen Aufruf zum Widerstand: »Ich wünsche allen, jedem Einzelnen von euch einen Grund zur Empörung. Das ist kostbar.« Dieses kostbare Empfinden greift oft auf klassische Strategien des Öffentlich-Machens zurück — eine Rolle, die üblicherweise vom Journalismus übernommen wird, der dafür sorgt, dass Gesellschaften sich mit sich
more » ... elbst über ihre Zukunft verständigen. Doch schon Hessels Aufruf macht deutlich, dass etwas nicht stimmt — dass im zeitgenössischen Gespräch die Angst vor der Zukunft das Vertrauen in ihre Gestaltbarkeit ebenso zu ersetzen droht wie die Empörung selbst. Beobachter wie Hito Steyerl, Stefan Jonsson, oder Afredo Cramerotti sehen stattdessen die Kunst in der Verantwortung, dieses Öffentlich-Machen neu zu erfinden, wenn traditionellen Akteuren die Herstellung von Öffentlichkeit nicht mehr gelingt. Dieser Import dokumentarischer Formen in den Kunstbereich — in dessen Kontext sich auch die redner verorten lassen — schafft experimentelle Praktiken, die sich der Normung realistischer Bilder widersetzen und den Status zeitgeschichtlicher Dokumente selbst zum Gegenstand ästhetischer Reflexion machen. Online-Fassung des Handbuchs
doi:10.5281/zenodo.4309599 fatcat:t4pe2sxb7fgxrjgsr245tz6kmy