Parametrisierung der Syntax [chapter]

Günther Grewendorf, Ludger Hoffmann
1992 Deutsche Syntax  
12 Günther Grewendorf ausmachen können. Im Alter von drei Jahren bezieht sich die Grammatik des Kindes bereits auf abstrakte Strukturen oberhalb der Wortebene, d.h. Phrasen sind in diesem Alter bereits als syntaktische Einheiten verfügbar, wie Untersuchungen von Otsu (1981) belegen. Crain/Thom ton (1990) haben gezeigt, daß der kindlichen Grammatik von frühesten Stadien des Spracherwerbs an alle Ebenen der syntaktischen Repräsentation zugänglich sind, dafi insbesondere bereits 3-4jährige über
more » ... Beschränkungen von Bewegungsprozessen zwischen D-Struktur und S-Struktur verfügen, die etwa den Prozefi der 'wanna'-Kontraktion im Englischen (2 )/(3 ) oder das Phänomen des sog. ' Starken Crossover' (4 )/(5 ) steuern: (2) a. Who do you want to help? b. Who do you wanna help? (3) a. Who do you want to help you? b. *Who do you wanna help you? (4) a. Wer, glaubt, erj hat eine Murmel? b. Wer, glaubt, er, hat eine Murmel? (5) a. Wer, glaubt erj, hat eine Murmel? b. *Wer, glaubt er" hat eine Murmel? Solan (1983) demonstrierte in Experimenten mit 4-6jährigen, daß bereits in dieser Altersstufe Restriktionen, die die sog. 'Rückwärtspronominalisierung' (6) steuern und für die die strukturelle Relation des c-Kommandos grundlegend ist, wirksam sind: (6) a. *Das Pferd sagte ihmi, daß der Puchsi weglaufen würde. b. Das Pferd trat ihrii, nachdem der Fuchs\ es dreimal gereizt hatte. Diese Ergebnisse fanden eine Bestätigung in Untersuchungen, die den Erwerb der c-Kommando-Relation sin dem subtilen Unterschied zwischen (intersententieller) Diskurskoreferenz und (durch c-Kommando beschränkter) Koreferenz bei Variablenbindung erforschten (cf. Roeper 1988): (7) a. *Jeder, redete zu lang. Er, wußte, daß es ein Fehler war. b. Hansi redete zu lang. Er, wußte, daß es ein Fehler war. c. Jeder, sagte, daß er, wußte, daß es ein Fehler war. Das an den Phänomenen (2)-(7) illustrierte grammatische "Wissen" ist zu subtil, um via Instruktion erworben zu werden. Darüber hin-Parametrisierung der Syntax 13 aus ist schwer zu sehen, wie das Kind das "Wissen" um die in (2)-(7) nicht möglichen Fälle aus Erfahrung gelernt haben könnte. So kommt z.B. Rückwärtspronominalisierung selbst im Sprachgebrauch des Erwachsenen relativ selten vor, und selbst wenn Kinder mit sog. negativer Evidenz konfrontiert sind, findet diese nachweislich eine ähnliche Resonanz wie die Aufforderung, früh ins Bett zu gehen (cf. Gleitman/Wanner 1982). De facto kommt aber negative Evidenz nicht nur kaum vor, es läßt sich überdies zeigen (cf. z.B. Wexler/Manzini 1987), daß für den Spracherwerb allein positive Evidenz relevant ist.1 Platons Problem, auf sprachliches Wissen bezogen, läßt sich daher nicht anders lösen als durch die Annahme eines genetisch determinierten Sprachprogramms, das den Erwerb dieses Wissens in ähnlicher Weise zu einem von externen Faktoren abhängigen Wachstumsprozeß macht, wie unsere genetische Ausstattung auch andere biologische Entwicklungsprozesse in Abhängigkeit von externen Faktoren, wie z.B. der Ernährung, heranreifen läßt. Eine solche mentalistische sprachtheoretische Hypothese kann wenig Attraktivität und kaum naturwissenschaftlichen Status beanspruchen, wenn es ihr nicht gelingt, sich zu einem theoretischen Gebäude zu konkretisieren, das die Ableitung empirisch überprüfbarer Prognosen zuläßt, die insbesondere nicht nur d i e Möglichkeit des Spracherwerbs in einer relativ kurzen Zeitspanne betreffen, sondern auch erklären, wie sich der Übergang von dem angeborenen Anfangszustand zu dem jeweiligen steady state, d.h. der jeweils erworbenen Einzelsprache, vollzieht. Bei der Lösung dieser Aufgabe sind in den vergangenen zwanzig Jahren unglaubliche Fortschritte erzielt worden. In den Prozeß dieser Entwicklung möchte ich im folgenden anhand konkreter Beispiele aus der Syntax verschiedener Sprachen einen kursorischen Einblick vermitteln. 2 . Das Prinzipien-und Param eterm odell Ihre erste linguistische Konkretion erfuhr die sog. zweite kognitive Revolution (Chomsky 1990) in der Auffassung (Chomsky 1965), daß die Sprache (i.S.v. Grammatik) ein mental repräsentiertes Regelsystem sei, das, grob gesagt, auf folgende Weise erworben werde: Der Anfangszustand der Sprachfähigkeit determiniert, was ein mögli-1 Nach Williams (1987) stellt das lerntheoretische "Subset Principle" (cf. Wexler/Manzini 1987) eine Formalisierung der Hypothese dar, daß negative Evidenz beim Spracherwerb keine Rolle spielt. Argumente gegen diese Äquivalenzhypothese finden sich in Hyams (1987). 14 Günther Grewendorf ches Regelsystem ist, und stellt überdies einen Mechanismus ('Bewertungsprozedur' ) bereit, der angesichts verfügbarerer direkter Evidenz ein bestimmtes, mit dieser Evidenz verträgliches und unter Einfachheitsgesichtspunkten optimales Regelsystem selegiert. Obwohl es gelungen ist, auf der Basis dieser Forschungsstrategie für eine Vielzahl menschlicher Sprachen solche Regelsysteme anzugeben und für zahlreiche bis dato wenig beachtete grammatische Phänomene adäquate Regeln zu rekonstruieren, litt diese erste Phase mentalistischer Syntaxtheorie unter einem gravierenden Mangel: Sie hatte vor lauter Regeln Platon aus dem Auge verloren. Technischer ausgedrückt: Bei dem Bestreben, deskriptiv adäquate Regelsysteme zu formulieren, geriet der Gesichtspunkt der Erklärungsadäquatheit aus dem Blickfeld. Was heißt das? Um diese Frage zu beantworten, hat man sich klarzumachen, daß es zu vorgegebener sprachlicher Evidenz eine Vielzahl möglicher Regelsysteme gibt, die diese Evidenz deskriptiv adäquat analysieren. Eine Theorie nun, derzufolge das Kind unter diesen ein bestimmtes Regelsystem G erwirbt, weil die angeborene Bewertungsprozedur unter der Vielzahl der mit den Daten verträglichen Regelsystemen eben das System G selegiert, erklärt uns nicht sonderlich viel, solange wir über Eigenschaften, Wirkungsweise, Kriterien und mentale Repräsentation einer solchen Prozedur keine weiteren Aufschlüsse erhalten.
doi:10.1515/9783110622447-003 fatcat:blpr4mqb7rhhxpoit524iu3yce