2.2 Übersetzungswege und Kontaktaufnahme [chapter]

2021 Gilles Deleuze und die Anyone Corporation  
Gilles Deleuze und die Anyone Corporation 40 Kari Jormakka unterteilt indes die Architekturtheorie in drei Arten und benennt die Architekturphilosophie als eine davon. Sie behandelt grundsätzliche Fragen (Bedingungen der Entwurfstheorie oder Grundgesetze der Architekturkritik), während mit der Entwurfstheorie Prinzipien für Entwerfende formuliert werden (wie bei Vitruv oder Le Corbusier) und bei der Architekturinterpretation Gebäude durch Vergleiche mit Theorien erklärt werden (wie bei Colin
more » ... e). 30 Christoph Baumberger vertritt schließlich die These, dass Architekturphilosophie und Architekturtheorie über inhaltliche Kriterien nicht eindeutig voneinander zu trennen sind. Er schlägt stattdessen vor, die Architekturphilosophie durch vier »formale Kriterien« von der Architekturtheorie abzugrenzen: Allgemeinheit, Reflexivität, Systematizität und Neutralität. Erstens gehe es in der Architekturphilosophie nicht um bestimmte Bauwerke oder Stile, sondern um allgemeine Fragen, beispielsweise ob die Architektur eine Kunstform ist. Zweitens bezeichnet Baumberger mit Reflexivität die Zuwendung der Architekturphilosophie zu Begriffen, die in architekturtheoretischen Schriften bereits vorausgesetzt werden, zum Beispiel die Bedeutung ästhetischer Werturteile oder was architektonischer Ausdruck sei. Des Weiteren zeichnen sich architekturphilosophische Schriften dadurch aus, dass sie »systematisch angelegt und im Hinblick auf die Evaluation von Baustilen und Bauweisen neutral« 31 seien. Die vier Kriterien werden allerdings nicht als notwendige und hinreichende Bedingungen von Baumberger verstanden, sondern nur als Symptome, die mehr oder weniger stark ausgeprägt sein können. Mit dieser Relativierung bleibt die Abgrenzung der Architekturphilosophie von der Architekturtheorie letztlich unscharf. Die Bedeutungen von Architekturtheorie und Architekturphilosophie gehen im Grunde fließend ineinander über. Das konzeptuelle Feld, das sich zwischen praktischer Ästhetik, Entwurfstheorie, Architekturinterpretation und philosophischer Reflexion über den Raum oder architektonische Grundbegriffe aufspannt, bildet eine Kontaktzone zwischen Architektur und Philosophie. Wie die Kontaktaufnahme zwischen Deleuzes Philosophie und dem Architekturdiskurs erfolgt, soll im Folgenden durch die Übersetzungswege von Deleuzes Schriften in den US-amerikanischen Kontext gezeigt werden. zösischer PoststrukturalistInnen‹ in der US-amerikanischen Theorielandschaft aus der Außenperspektive. Cusset definiert ›French Theory‹ als spezifisch US-amerikanische Züchtung, 32 die Modeerscheinungen der Populärkultur, akademischen Markt regeln und Identitätspolitiken der Campusse gehorche. Unter den Schlagwörtern ›französischer Poststrukturalismus‹ und ›French Theory‹ werden die Theorien von französischen DenkerInnen wie Foucault, Derrida, Deleuze (und Guattari), Lyotard, Baudrillard, Lacan und Kristeva zu einer homogenen, alle spezifischen Eigenarten nivellierenden Denkschule vermengt. Das »Post« soll auf eine Kritik an ›strukturalistischen‹ Ansätzen verweisen, d. h. die Annahme universeller Strukturen oder anthropologisch konstanter Prinzipien, innerhalb derer lebensweltliche Artikulationen individuell erfolgen, wird infrage gestellt. 33 Stattdessen rücken ›PoststrukturalistInnen‹ die zeitliche, räumliche, kulturelle oder historische Bedingtheit und die Differenz gesellschaftlicher Identitäten, Gefüge oder Diskurse in den Vordergrund. Von totalisierenden Tendenzen, essentialistischen Konzepten und Erzählungen von Wahrheit oder Identität wenden sie sich ab. Dafür gewinnen die je spezifischen Verbindungen zwischen gesellschaftlichen Prozessen, kollektiven oder individuellen Wünschen bzw. Begehren sowie Machtformationen an Bedeutung. Cusset sieht einen Beginn des ›Poststrukturalismus‹-Konzepts in der Konferenz »The Languages of Criticism and the Sciences of Man«, die vom 18. bis 21. Oktober 1966 an der Johns Hopkins University stattfindet. 34 Unter den Teilnehmern sind mehrere französische Denker, darunter
doi:10.14361/9783839453261-006 fatcat:6clu7aqkwvgmvcew7gw33yekl4