Der Weg zur wirtschaftlichen Verschreibweise in der Krankenkassenpraxis
1921
Deutsche Medizinische Wochenschrift
Arzt in Frankfurt a. M. Es hieße offene Türen einrennen, wenn man Beweise dafür beibringen wollte, daß viele Aerzte in der Kassenpraxis unwirtschaftlich verordnen. Die Aerzteschaft gibt dies ununiwunden zu. In den kassenärztlichen Verträgen verpflichten sich die Aerzte ausdrücklich zu einer wirtschaftlichen Verschreibveise, und die ärztlichen Organisationen versuchen, durch Strafbestimmungen dem Mißstande zu steuern. Leider ist der Erfolg der Bemühungen auf diesem Gebiete bisher wenig
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... nd gewesen. Die Gründe hierfür sollen untersucht werden. Eine Unwirtschaftlichkeit der Verschreibweise läßt sich nicht allein in der Kassenpraxis feststellen ; sie besteht auch in der Privatpraxis. Hier wird sie nur dem von den Folgen derselben Betroffenen sofort offenbar durch den hDhen Preis, der ihm für die verordnete Arznei abgefordert wird. Leider fehlt dieser "regulierende" Faktor bei der Abgabe von Arzneien auf Kosten von Krankenkassen. Schon B a c o n geißelte die Vielgeschäftigkeit im Arzneiverordnen recht drastisch mit den Worten : "Medicamentorum varietas ignorantiac flua est." Kruckenberg (1788-1863) schreibt: "Unsere erfahrensten und besten Aerzte heilen gerade mit den wenigsten und einfachsten Mitteln, während die ungeschickten immer nach neuen Mitteln haschen, weil sie keine gehörig ZU verwenden wissen." K r u c k e nb e r g bezeichnet hier zutreffend als die Hauptursache des Uebelstandes die U n g e s e h i e k 1 i e h k e j t vieler Aerzte bei der Anwendung des Arzneimittelschatzes im einzelnen Krankheitsfalle. Das wirtschaftliche Verordnen ist letzten Endes und in der Hauptsache nur die Kùnst, e i n f a c h u n d g u t zu verordnen. Keinesfalls spielt die Billigkeit der Arzneimittel die ausschlaggebende Rolle, wie vielfach irrtümlich angenommen wird. Sie kann sie auch nicht spielen; denn die notwendigen Arzneimittel müssen selbstverständlich auch in der Kassenpraxis zur Verfügung stehen, selbst wenn sie sehr teuer sind. Die Krankenkassen erheben immer eindringlicher die Forderung nach einer wirtschaftlicheren Verwendung der Arznei-und Heilmittel; denn sie wissen, daß die außerordentlich hohen Beträge, die sie besonders bei der jetzigen Teuerung aufbringen müssen, sich erheblich vermindern lassen, ohne daß den erkrankten Kassenmitgliedern irgend etwas vorenthalten würde, vas zur Heilung oder Linderung ihrer Krankheiten erforderlich ist. Sie sind auch davon überzeugt, daß es -abgesehen von einzelnen unrühmlichen Ausnahmefällen -kein böser Wille, sondern nur Unkenntnis und Unerfahrenheit ist, wenn die Aerzte nicht wirtschaftlich verordnen. Es ist des öfteren und von den verschiedensten Seiten festgestellt worden, daß die Ausbildung des ärztlichen Nachwuchses gerade im Verordnen von Arzneien eine sehr beklagenswerte Lücke hat. Die bisher von einer Anzahl Krankenkassen getroffenen Maßnahmen zur Herbeiführung einer wirtschaftlicheren Verordnungsweise der Kassenärzte konnten deshalb keinen durchschlagenden Erfolg haben, weil sie den Kern der Sache nicht trafen. Es wird, meistens an Hand eines aus ärztlichen Anleitungen zusammengestellten "Verordnungsbuches", an kleinen Auswüchsen und Nebensächlichkeiten herumgemäkelt, und zwar von A pot lie k er n, denen die erforderlichen Kenntnisse abgehen für eine eingehendere Beurteilung und Bewertung der Verordnungsweise der Aerzte. Hierzu befähigt allein die eingehende Kenntnis des ganzen Gebietes ärztlichen Wissens und insbesondere der Therapie, sodaß eben nur ein e r f a h r e n e r Arzt die Arbeit sachgemäß leisten kann. Dieser würde den Kassenarzten wohl nicht empfehlen, an Stelle des Extract. Secalis cornuti Liquidrast, an Stelle der Tinet. Opii Bolus alba, an Stelle von Santonin Kaloinel und an Stelle der Flores Cinae Fol. Salviae zu verordnen. Die ganze Nachprüfung wird schließlich nicht ernst genommen, wenn solche groben Schnitzer gemacht werden. Die Unterstützung, die den Krankenkassen seitens der ärztlichen Organisationen geleistet wird, hat deshalb keinen durchschiageriden Erfolg, weil sie sich durchweg begnügt mit der Verfolgung der von den Revisionsapothekern vorgelegten Beanstandungen und sich somit aufbaut auf einer ungenügenden, meistens nur Formfehler" feststellenden Beurteilung der ärztlichen Verordnungen. Daß diese Unterstützung unter solchen Umständen ebenfalls nur ein Schlag ins Wasser sein muß, liegt auf der Hand. Die vermeidbare jährliche Mehrbelastung der deutschen Krankenkassen durch unwirtschaftliches Verordnen der Aerzte beträgt nachweislich viele Millionen. Sie betrug z. B. im Jahre 1920 allein für eine große Ortskrankenkasse über 2,5 Millionen Mark. Einem Kassenarzte einer kleinen Ortskrankenkasse wurde kürzlich nachgewiesen, daß seine unwirtschaftliche Verschreibweise der Kasse im laufenden Jahr auf rund 10000 M. zu stehen kommt. Solange an der unwirtschaftlichen Verschreibweise der Kassenärzte herumgekurpfuscht wird, kann der Erfolg der Bemühungen nicht befriedigen. Es gibt eine Möglichkeit, in kurzer Zeit eine wirtschaftliche Verschreibweise der Kassenärzte herbeizuführen durch eine sachgemäße, planmäßig und fortlaufend durchgeführte sachvei-ständige Nachprüfung der Verordnungen, verbunden mit einer ebensolchen Belehrung der Kassenärzte. Es empfiehlt sich, diese Nachprüfung im ganzen Deutschen Reiche bezirks-(länder-)weise einzurichten (sl' Württemberg) und für alle Krankenkassen ob lig ator is ch z u machen. Diese tragen die Kosten und werden sie gerne tragen; denn ein Vielfaches derselben wird ihnen durch Ersparnisse wieder eingebracht. Die Kosten verden durch die Einrichtung der Rezcptprüfungsstellen für sämtliche Kassen eines Bezii-kes für die einzelne Kasse wesentlich geringer; denn es handelt sich sehr oft um dieselben Aerzte bei mehreren Kassen. Es ist auch ein Unding, wenn, wie es jetzt vorkommt, die Verordnungen der gleichen Aerzte für 3 verschiedene Krankenkassen desselben Bezirkes von 3 verschiedenen Stellen nachgeprüft werden. Zur Herbeiführung größtmöglicher Einheitlichkeit sollen die einzelnen Rezeptprüfungssteilen ihre Tätigkeit ausüben nach Richtlinien, die eine Reich s zentralstelle aufstellt. Diese soll außerdem die Ergebnisse und Erfahrungen der einzelnen Prüfungsstellen alljährlich vergleichend zusammenstellen und eine fortlaufende allgemeine Belehrung der Kassenärzte in die Wege leiten. Hierbei bedarf sie der wohlwollenden Unterstützung der akademischen Lehrer, die sicher im Interesse des Allgemeinwohies nicht versagt werden wird. Eine baldige, großzügige, gemeinsame Bearbeitung der brennenden und spruchreifen Frage der Herbeiführung einer wirtschaftlichen Verordnungsweise in der Krankenkassenpraxis durch die Organisationen der Aerzte und Krankenkassen dürfte bei unserem allgemeinen und foi-tlaufend sich verschlimmernden wirtschaftlichen Elende heute mehr denn je ein Gebot der Stunde sein. Heruntergeladen von: NYU. Urheberrechtlich geschützt.
doi:10.1055/s-0028-1141204
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