Londoner Brief

1897 Deutsche Medizinische Wochenschrift  
16. December. DEUTSCHE MEDICINISCHE WOCHENSCHRIFT. 821 Feuilleton. Londoner Brief. Es ist ein alter Glaube in indien und anderen you der Pest heimgesuchten Ländern, dass die Seuche am besten in der kühleren Jahreszeit gedeiht, während der grossen Hitze aber rasch abnimriit und häufig ganz verschwindet. Diese alte Volksmeinung scheint sich auch bei dem jetzigen Pestausbruch in Indien zu bestätigen. Während der küh]eren Jahreszeit beginnend, nahm die Pest im letzten Winter in Bombay und Poona
more » ... h ungeheure Dimensionen an, um mit Einsetzen der excessiven Hitze im Mai und Juni fast-gänzlich zu verschwinden. Schon hoffte man auf ein baldiges völliges Erlöschen, da brach mit dem Beginn der Herbstmonsune und der dadurch bedingten kühleren Temperatur die Seuche von neuem aus. Zwar enthalten die Tageszeitungen in diesem Jahre weit weniger Nachrichten über die Pest, es scheint fast, als bestände ein stillschweigendes Einvernehmen unter denselben, die indischen Verhältnisse möglichst günstig hinzustellen, was ihnen allerdings in Anbetracht der Pest, der Hungersnoth und der grossen Grenzaufstltnde auf die Dauer recht schwer werden dürfte. Dem aufmerksamen Beobachter aber kann es nicht entgehen, dass die Pestgefahr in diesem Jahre eine weit grössere ist als im vorigen. Wenn auch die Zahl der Erkrankungs-und Todesfälle im vergangenen Jahre eine grössere war, so darf man doch nicht vergessen, dass die Seuche anfänglich ganz lokal blieb und auch noch im Frühjahr 1897 nicht über die Präsidentschaft von Bombay hinausgesebritten war. Damals versäumten die Behörden den richtigen Moment; ihre
doi:10.1055/s-0029-1205281 fatcat:na22523bdjg4bjo7hedqnc4og4