Alte Werke auf neuen Instrumenten spielen Zum Begriff der Wiederaufführung in Musik und Architektur
Friedrich Dieckmann
2010
unpublished
I Wiederaufführen, das ist ein Verb mit vielen Bedeu-tungsschichten; von Wiederaufführung, dem Substan-tiv, gilt das Gleiche. «Wie führst du dich wieder auf!» sagt man im nördlichen Deutschland, wenn ein Kind sich schlecht beträgt, das ist ein erziehlicher Wort-gebrauch: Dem Ich wird zu verstehen gegeben, daß es Subjekt und Objekt einer selbst verantworteten Aufführung und Wiederaufführung ist. Ich will hier, in ge-botener Kürze, einer andern Art von Aufführungen nachgehen, denen der Kunst.
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... erke werden auf-geführt und auf andere Weise werden es Oratorien, Opern und andere Schau-und Hörspiele. Konzerte werden gegeben, Sinfonien gespielt, tritt aber die menschliche Stimme hinzu, so genügt das Wort spielen nicht mehr: Mahlers Achte kann nur aufgeführt, genauer gesagt: wiederaufgeführt werden, sie ist ja ein Bestand-teil des Repertoires. Gestern abend hatte ich in Berlin eine Laudatio auf Thomas Langhoff zu halten, der den Kunstpreis des Landes Berlin erhielt. Im Licht des heutigen Themas wurde mir klar, daß dieser bedeutende Regisseur ein Theaterleben lang überwiegend Wiederaufführungen geleitet hat: Hauptmann und Tschechow, Shakespeare und Schiller, Mozart und Wagner, Kleist und Hebbel; hier in Salzburg waren es Grillparzer und Schnitzler. Der Fülle der Wiederaufführungen stehen in seinem Regie-OEuvre nur wenige Uraufführungen gegenüber, darunter eine so einschlagende wie Volker Brauns «Übergangs-gesellschaft» 1987 in Berlin, doch finden sich unter den Wiederaufführungen alter Stücke, die er inszeniert hat, auch wirkliche Entdeckungen wie Hofmannsthals «Turm», ein als Lesestück geltendes Werk, das dieser Regisseur dem Theater der Gegenwart in einer ganz spezifischen Situation neu erobern konnte. Auch in der Musik begibt sich dergleichen, und nicht nur Opern-häuser und Konzertsäle sind das Organ immer neuer Entdeckungen in den Tiefen und Breiten der Geschich-te; Laser-Schallplatten und Radioanstalten sind es auf ihre Weise. Alte Werke auf neuen Instrumenten spielen-das gilt auch und gerade in Oper und Schauspiel. Das alte Werk ist der Text oder die Partitur, die neuen Instrumente sind nicht nur die Schauspieler und Sänger, die von den Erfahrungen ihrer Zeit geprägt sind, sondern auch das Theater selbst als geistiger und körperlicher Raum, in seinen technischen und ästhetischen Gegebenheiten, über die sich die Wiederaufführung nicht hinwegsetzen kann. Wenn kritische Zuschauer den Eindruck haben, daß diese neuen Instrumente sich vor das Werk, also den Text schieben, daß sie es verstellen und defor-mieren, bringen sie nicht selten den Begriff der Werk-treue ins Spiel und stellen ihm den des Regietheaters gegenüber als eines Theaters, dessen Darstellungs-weise sich gegenüber dem Text verselbständigt. Sie übersehen, daß «Regietheater» eine tautologische Wortbildung ist wie der runde Kreis und der freundliche Gruß. Theater ohne den bestimmenden Einfluß des Regisseurs-das gibt es spätestens seit Ifflands Berli-ner und Goethes Weimarer Wirken nicht mehr; ich bin sicher: auch Nestroy hat in seinen Aufführungen Regie geführt. Unter den von Grund auf veränderten Bedin-gungen, die mit der elektrischen Beleuchtung und dem Verschwinden der Kulissenbühne über das Theater kamen, waren Schauspiel und Oper ohne Regie erst recht nicht zu haben; gesteigerte Anforderungen er-gingen an die Individualisierung der Figuren wie der Schauplätze und zugleich an die Zusammenstimmung dieser und anderer Elemente. Werktreue ist ein mehrdeutiger Begriff, denn nicht nur dem Text, auch sich selbst hat das Theater Treue zu halten, der Gegenwart seiner Mittel und seines Bewußt-seins. Der Begriff der Interpretation vermittelt zwischen beiden und findet beim Schauspiel, wo der Akteur selbst das Instrument ist und sich als Person dreingibt, um den Text zu spielen, die Rolle zu verkörpern, un-gleich weitere Spielräume als bei einer musikalischen Aufführung, deren Vorlage-das Wunder der Notierung!-genau festlegt, an welcher Stelle der einzelne Spieler einen Ton von bestimmter Höhe, Stärke und Dauer her-vorbringt. Der Opernsänger hat beides zu verbinden,
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