Mathematik im Alltag

Günter M. Ziegler
2002 Mitteilungen der DMV  
Man kennt das doch: Der Trainer kann noch so viel warnen, aber im Kopf jedes Spielers sind 10 Prozent weniger vorhanden, und bei elf Mann sind das schon 110 Prozent." (Werner Hansch) Neue BahnCard Verdächtig wird's auch, wenn -wie bei der Bundesbahn -zwar die Preise im Herbst für praktisch alle deutlich billiger werden sollen, das aber trotzdem der Bahn höhere Einnahmen bringen wird/soll. Das verletzt genauso die Markow-Ungleichung der W-Theorie wie das Dorf in Michigan (Lake Wobegon), in dem
more » ... solut alle Schüler überdurchschnittlich sind -oder der Durchschnittsbürger bzw. Politiker, der (stolz darauf ist, dass er) in Mathe in der Schule unterdurchschnittlich war. Und überhaupt die Bahn: Denen hätte doch lange vor Pisa schon mal jemand beibringen sollen, dass man zum Dreisatz üblicherweise drei Zahlen braucht. Was soll also die große Werbung dafür, dass man mit der Neuen Bahncard bei entsprechender Vorausbuchung für bestimmte Züge außerhalb der Hauptverkehrszeiten und mit eingeschränkter Umtauschmöglichkeit bis zu 66 % Ermäßigung auf die neuen Preise bekommen wird -wenn die neuen Preise, die dann ermäßigt werden sollen, aber leider erst im Herbst festgelegt werden können? Und Pisa: muss man dem Deutschen vorrechnen, dass also ein Bahnticket für 100 Euro (wie weit man damit fahren kann, wird eben erst noch festgelegt) bei 25 % Ermäßigung für 75 Euro kriegen wird, während es bei 40 % Ermäßigung nur 60 Euro kosten wird? Apropos Pisa "Ich verspüre nicht den Wunsch, mich zu multiplizieren" -Hape Kerkeling in Bild am Sonntag Nash-Gleichgewichte Sind Mathematiker interessante Menschen? Immerhin gibt es Mathematiker-Lebensläufe, die Hollywood-Potential haben, mit einer Story -siehe Sonja Kovalevskaya, Alan Turing, Andrew Wiles, oder John Nash. Inzwischen tanzt Wiles Tango auf dem Broadway, Turing ist zum Held von Hollywood-Spionage-Lovestories abgestiegen, und A beautiful mind-Crowe/Nash klingt in den deutschen Kinos ab. Deshalb sei hier nachdrücklich verwiesen auf die spannende Lektüre von A beautiful mind -der Nash-Biographie von Sylvia Nasar aus dem Jahr 1998 (Touchstone) -einerseits, andererseits auf den Band The essential John Nash, der jetzt ganz frisch erschienen ist. Und der ist schon außergewöhnlichdas sind die ausgewählten Werke eines Mathematikers, inclusive vollständigem Reprint der Dissertation, aufwändig produziert, mit einer autobiographischen Skizze (aus der in A Beautiful Mind als "the Nobel autobiography" zitiert wird), einer Foto-Life-Story (auf beklagenswert grobem Papier), das ganze in schickem Design, herausgegeben von Nashs Biographin Silvia Nasar zusammen mit dem Princetoner Professor Harold W. Kuhn (Princeton University Press 2002). Die beiden Bände, gegeneinander gelesen, ergeben ein komplexes Bild, spannend und vielschichtig. Einerseits ist da Nash, der damals, vor seiner Krankheit, sicher kein angenehmer Mensch war, genauso arrogant wie brilliant, eben schwierig. Andererseits zeichnet Sylvia Nasar ein lebendiges Bild aus dem Raubtierzirkus "Princeton in den späten Vierziger Jahren" (da wurden allemal nicht-kooperative Spiele gespielt), aus dem MIT Common Room und dem Courant-Institute in New York, und aus der legendären RAND-Corporation im kalifornischen Santa Monica, wo in den fünfziger Jahren der Atomkrieg spieltheoretisch geplant wurden -die Denkmuster hängen offenbar immer noch Köpfen von amerikanischen Militärstrategen fest. Solche Studien aus RAND wie auch aus sowietischen Archiven konnte übrigens Alexander Schrijver kürzlich in Math. Programming präsentieren (On the history of the transportation and maximum flow problems, Math. Programming, Ser. B 91 (2002), 437-445). 46
doi:10.1515/dmvm-2002-0062 fatcat:s27unh4r55gwzejwpr356bzody