Nachhaltigkeit: Politik im 21. Jahrhundert: Der Weg von Rio: Für eine Welt mit Zukunft: Schweiz: Nachhaltigkeit in den Alpen

Andreas Kläy, Alexander Wittkowsky
2004
Bewahren und Verändern -die Kultur der Schweiz Schweift der Blick über das Berner Oberland mit seinen mit ewigem Schnee überzogenen Gipfeln, die im Alpenglühen unveränderlich erscheinen, spürt der Fuß den Nagelfluh unter sich, eigentlich ein Recyclingprodukt längst verschwundener geologischer Formationen und selbst seit Millionen von Jahren wieder Formation, dann könnte man glauben, Nachhaltigkeit sei ein Synonym für die Schweiz. Tatsächlich gibt es in diesem Land eine lebhafte Debatte, wie in
more » ... er Moderne das natürliche Erbe, das die Qualität und die Dauerhaftigkeit des Lebens ausmacht, bewahrt werden kann. Von daher verwundert es nicht, dass Stephan Schmidheiny, der mit seiner Unternehmerinitiative für eine nachhaltige Entwicklung weltweit Furore gemacht hat und ein wichtiger Ratgeber in diesen Fragen für die Vereinten Nationen ist, aus dem südlichen Nachbarland Deutschlands stammt. Grunddaten zur Schweiz: Die Schweizerische Eidgenossenschaft ist ein parlamentarisch-demokratischer Bundesstaat. Die Alpenrepublik gehört zu den reichsten Ländern der Welt. Sie ist für ihre Banken, ihre Chemieindustrie, ihre Sprachenvielfalt (deutsch, französisch, italienisch und rätoromanisch) und ihren föderativen Aufbau mit hoher regionaler Autonomie berühmt. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Schweiz betrug im Jahr 2002 rund 57.410 Franken pro Einwohner. In der Länderbonität stand das Land Anfang 2003 auf Platz 1. Der Schweizer Franken gilt seit Jahrzehnten als die härteste Währung der Welt. Allerdings kam auch die Schweiz Anfang des neuen Jahrhunderts in ein "konjunkturelles Wellental" (Neue Zürcher Zeitung), was auch dort hitzige Debatten über die Finanzierung der Sozialsysteme auslöste. Die Schweiz hat 7,261 Millionen Einwohner (80,3 Prozent Schweizer und 19,7 Prozent Ausländer mit ständigem Wohnsitz) auf 41.293 Quadratkilometern (ohne den Bodenseeanteil). Die West-Ost-Ausdehnung beträgt 350 Kilometer, in Nord-Süd-Richtung 220 Kilometer. Die mittlere Einwohnerdichte liegt bei 176 pro Quadratkilometer. In der Hauptstadt Bern leben 136.000 Menschen. Die Schweiz ist in 26 Einzelstaaten gegliedert: 23 Kantone, von denen drei in jeweils eigenständige Halbkantone aufgeteilt sind. Nach Kulturgeschichtliche Einbettung Um die Verflechtung der drei Hauptstränge in der Entwicklung der modernen Gesellschaft -industrielle Revolution, soziale Demokratie und Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen -zu entfalten, erlauben wir uns eine knappe Einordnung der heutigen Debatte in eine kulturgeschichtliche Gesamtbetrachtung. Die Entwicklung der Moderne wird durch die zunehmende Rationalität im menschlichen Denken und Handeln geprägt, insbesondere durch die "Gewinnung von Informationen und deren Organisation in Strukturen, die wir Wissen nennen" (1). Die Entwicklung zum westlich rationalen Denken ist das Ergebnis eines langen zivilisatorischen Wandels. Die ersten Hinweise auf die Überwindung des mythischen Weltbildes und den Eintritt in eine mental-rationale Kulturphase finden sich in den philosophischen Texten von Zarathustra, Konfutse, Lao-tse, Buddha, Sokrates oder Platon, wie Jean Gebser, ein in die Schweiz emigrierter Kulturphilosoph, der einer der Mentoren des Globalisierungsprotestes ist, herausgearbeitet hat (2). Als konstituierend für den mentalen Bereich sieht er das bewusste Heraustreten aus einem 'Wir' der Sippe und das Unterscheiden zwischen 'Ich' und 'Ihr'. Dieses Bewusstsein für das ' Ich' als Abgrenzung zu den Anderen wird in der Odyssee mit den Worten "Ich bin Odysseus" ausgedrückt. Damit wurden weitere Unterscheidungen möglich. Es wurde nach und nach bewusst, dass dem Ich und dem Wir der Raum gegenübersteht. "Die Raumerfassung wird vollständig erst in der Renaissance, und zwar durch Leonardo da Vinci, geleistet" (2, S.25). Diese Differenzierung hat das heute als selbstverständlich empfundene Nebeneinander von Umwelt und Mensch, von Natur und Kultur begründet und letztlich zu dem deterministischen Dualismus der westlich-europäischen Welt geführt. Davon ausgehend ist nicht nur die Natur als Ressource interpretierbar, was ihre systematische und effiziente Nutzung ermöglicht, sondern auch das Nebeneinander von verschiedenen und gleichberechtigten Individuen, Gesellschaften und Kulturen. Die auf dieser Grundlage einsetzende politische, wirtschaftliche und technologische Entwicklung der Moderne hat, wie Ulrich Beck nachwies, wegen ihrer nicht ausreichenden Reflexivität zu den heutigen Umwelt-und Entwicklungsproblemen beigetragen (3). Dieser ersten Moderne soll nun, so die Grundidee der Nachhaltigkeit, eine zweite Moderne folgen, die das Nebeneinander zu Kooperation umwandelt und zu einem integrativen Gesamtkonzept fortentwickelt. Die Natur wird gleichsam in die Gesell-
doi:10.7892/boris.72603 fatcat:hejipkhirbaudnr24dy66sb234