Off-label-use in der Onkologie: keine maximale, sondern optimale Medizin
2011
Schweizerische Ärztezeitung
Paritätische Arbeitsgruppe SGV-SGMO Um die Entscheide im Off-label-use zu vereinheitlichen, beraten die Medizinischen Onkologen die Vertrauensärzte in einer paritätischen Arbeitsgruppe der Schweizerischen Gesellschaft der Vertrauens-und Versicherungsärzte (SGV) und der Schweizerischen Gesellschaft für Medizinische Onkologie (SGMO) [1]. Ein aktueller Bundesgerichtsentscheid (BGE) [2] wird die Arbeit dieser Kommission beeinflussen. Im Urteil vom 23. 11. 2010 gibt die sozialrechtliche Abteilung
more »
... Bundesgerichts (BG) einer Krankenversicherung recht, die sich geweigert hat, die hohen Kosten für eine Myozymbehandlung bei der adulten Form des Morbus Pompe zu übernehmen. Obwohl es sich um eine Orphan Disease mit einer Orphan Drug handelt, beeinflusst der BGE auch die Beurteilung von Offlabel-Indikationen. Bestehende Regeln bestätigt und präzisiert In seiner Argumentation wiederholt das BG die heute geltenden Regeln im Off-label-Bereich: Die Kosten für eine Off-label-Behandlung sind von der Obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) zu übernehmen, wenn die Krankheit tödlich verläuft oder schwere und chronische gesundheitliche Probleme nach sich zieht und therapeutische Alternativen fehlen. Das Arzneimittel muss einen hohen therapeutischen (kurativen oder palliativen) Nutzen haben. Therapeutischer Nutzen Das Bundesgericht präzisiert in seinem Urteil einzelne Begriffe der BAG-Verordnung: Im Off-label-Bereich könne nicht jeder therapeutische Nutzen genügen, da sonst die Einzelfallbeurteilung an die Stelle des gesetzlichen Listensystems trete und dieses unterwandere. Es müsse vermieden werden, dass durch eine extensive Praxis der ordentliche Weg der Listenaufnahme durch Einzelfallbeurteilung ersetzt und dadurch die mit der Spezialitätenliste verbundene Wirtschaftlichkeitskontrolle durch die Preisfest-setzungsbehörde umgangen wird. Der hohe therapeutische Nutzen wird als ein allgemeiner Wirksamkeitsnachweis umschrieben. Die Wirkung am Einzelfall allein könne nicht genügen. Um ein Medikament im Off-label-Bereich zu Lasten der OKP zu übernehmen, braucht es keine Heilung und keine hohe Remissionsrate, sondern die Wirksamkeit muss in einer Studie nachgewiesen sein, bevor es im Einzelfall übernommen werden kann. Eine Wunderheilung kann also nicht zu Lasten der OKP übernommen werden. Das Bundesgericht weist ferner darauf hin, dass die Frage nach dem hohen therapeutischen Nutzen nicht mit einem kategorialen Ja oder Nein beantwortet werden könne: Die Frage nach dem hohen therapeutischen Nutzen sei graduell und in Relation zu den Behandlungskosten zu beurteilen. Prüfungskriterien Bei der Prüfung der Wirksamkeit einer Off-label-Indikation sind nicht die gleich strengen Kriterien an den Wirksamkeitsnachweis gefordert, wie bei einer generellen Aufnahme in die Spezialitätenliste. Die Studiendaten sollten lediglich rechtfertigen, im Einzelfall vom Listenerfordernis abzuweichen. Wirksamkeit und Zweckmässigkeit müssen in einer wissenschaftlichen Studie nachgewiesen sein. Die minimalen Voraussetzungen für einen Wirksamkeitsnachweis sollen die gleichen sein wie bei der befristeten Bewilligung nicht zugelassener Arzneimittel: Zwischenergebnisse von Studien weisen darauf hin, dass ein grosser therapeutischer Nutzen zu erwarten ist. Ohne wissenschaftliche Daten, die die Wirksamkeit beschreiben, kann kein Medikament off label übernommen werden. Wirtschaftlichkeitsprüfung im Off-label-Bereich Auch im Off-label-Bereich ist die Wirtschaftlichkeit einer Behandlung zu prüfen. Anhand verschiedener Gerichtsentscheide tastet sich das Bundesgericht an einen Kostenrahmen heran, der von der OKP zu übernehmen ist. Wo staatlich administrierte Güter nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen, ist eine möglichst rechtsgleiche Verteilung anzustreben; es soll vermieden werden, dass die einen alles oder sehr viel und die anderen nichts oder fast nichts erhalten. Es gehe deshalb nicht an, dass für die Heilung eines einzelnen Kranken jeder Preis bezahlt werde, weil sonst die Mit-
doi:10.4414/saez.2011.15939
fatcat:hthlsvyy4jdyflysn22qeyqvmi