5. Biometrie, Mendelsche Gesetze und die Frage nach dem Status von Experten: Charles Goring The English Convict (1900–1935) [chapter]

Kriminologie in der Zivilgesellschaft  
Die Intention der Studie "Relatively few scientific studies of offenders and offences have been made in this country", bemerkte 1939 der neu ernannte Direktor der London School of Economics, Alexander Carr-Saunders. 1 Für ihn wie für viele andere Sozialwissenschaftler handelte es sich bei der Studie des englischen Gefängnisarztes Charles Goring The English Convict aus dem Jahr 1913 um die berühmte Ausnahme einer ansonsten beklagenswerten Regel. Tatsächlich war Gorings Arbeit die einzige
more » ... erte englische Forschungsleistung großen Formats zum Thema Kriminalität vor dem Ersten Weltkrieg. Doch mit Ausnahme der Arbeiten von Piers Beirne hat diese Studie in der historischen Forschung bislang kaum nennenswerte Beachtung gefunden. 2 Dabei offenbaren besonders ihr Entstehungskontext und die Rezeptionsgeschichte nicht nur die zeitgenössischen britischen Auseinandersetzungen über Anlage und Umwelt, sondern vor allem den Kampf um die Anerkennung der biometrischen Statistik als überlegene Methode zur Aufklärung solcher Fragen. Denn obgleich als neutrale und objektive wissenschaftliche Studie vorgestellt, der keine spezifische Theorie oder Vorannahme zugrunde lag, forderten die Ergebnisse von The English Convict den Widerspruch zahlreicher Kritiker heraus, die sie als ambivalent und interpretationsbedürftig wahrnahmen. Die anerkannte Wissenschaftlichkeit der Studie gewährleistete also keineswegs eine rasche Akzeptanz oder gar, wie Beirne annimmt, eine ungeheure Wertschätzung ("gargantuan esteem") 3 , was umso überraschender erscheinen mag, da statistische Untersuchungsmethoden zu diesem Zeitpunkt bereits großes Ansehen genossen.
doi:10.1524/9783486755152.233 fatcat:luhqzjfkijfzvi4gz6ec4o3a6e