Emoticon

2015 Schweizerische Ärztezeitung  
Eine Entdeckungsreise mit Jonathan Swift (1667-1745) lohnt sich immer. Gulliver verlässt auf seiner dritten Reise Laputa und besucht die Akademie der Haupt stadt Lagado. Dort widmen sich die klügsten Köpfe der Sprachverkürzung, denn das Sprechen nützt die Lungen ab und schadet folgerichtig der Gesundheit. Da alle Wörter nur Namen für Dinge sind, tragen fort schrittliche Einwohner grosse Säcke mit sich herum, die sie bei Bedarf öffnen, um sich mittels der mit geschleppten Gegenstände zu
more » ... gen. In der digitalen Welt braucht es keine Säcke. Viele EMails enden mit einem Strichmännchengesicht aus Doppelpunkt, Trennstrich und runder Klammer. Ein Emoticon (Emotion und Icon), ein seitliches Lach gesicht, das 1982 ein kluger Informatikprofessor aus der Codierung für Satzzeichen entwickelt hat. Seither versehen die stilisierten Smileys, auch als Kaomoijs oder Emojis bezeichnet, die kurzen Textbotschaften mit Gefühlen. Japanische Schriftzeichen haben das Alphabet erweitert und bereichern Webforen und Mobiltelefone als GrafikEmoticon um ein vielfaches an Form und Farbvarianten. W er die Zeichen zu lesen versteht bedient sich einer universellen Bilder sprache, die sich selbst einen Klassiker wie Melvilles Moby Dick als verkürzten Emoji Dick einverleibt hat. Das Zeichen arsenal wird s tändig e rweitert, unter anderem mit einem gestreckten Mittelfinger, einer Friedenstaube und Mr. Spocks vulkanischem Gruss. Auch farbige Ethnien sind mit dem Skin Tone Modi fier in der Weltgemeinschaft willkommen. Mit den animiert lächelnden Smileys, pochenden Herzchen und küssenden Mündern hat es einst ganz bescheiden angefangen. Zur Verbesserung der Ar beitsmoral erfand der Amerikaner Harvey Ball 1963 den gelben Ansteckbutton mit dem Lachgesicht. Der erfolgreiche Smiley wurde rasch zur Modeikone und einem Superstar der Marktwirtschaft. Das grosse Geld machte allerdings ein Franzose, der sich mit seiner gering abweichenden Version die Lizenz zum Alleinvertrieb sicherte. Mittlerweile soll es rund 400 SmileyLizenznehmer in über 100 Ländern geben, sprudelnde Geldquellen, verbunden mit teuren H ightechProdukten, n euen Modekollektio nen und ex klusiven Boutiquen in grossen Metropolen. Für die Firma SmileyWorld ist klar: Smiley ist die Marke des Glücks. Drei simple Zeichen, als erkennbare Mimik umge setzt, haben seit 1982 eine Art Weltsprache geschaf fen, die f ast jeder Mensch v ersteht und in allen elek tronischen Medien anwendet. Kulturelle Unter schiede können für Missverständnisse sorgen. So lesen Japaner die Stimmung eher an d en A ugen, Amerikaner eher am Mund ab. Doch kreative visu elle U msetzungen s cheinen grenzenlos z u sein. Zwinkern, die Zunge herausstrecken, betrunken, ge nervt, verwirrt oder verliebt sein, erregt stöhnen oder keine Ahnung haben, Sonnenbrillen, Dekolle tés, Tiere, alles kein Problem. Auf Mobiltelefonen wandeln eingegebene Schlüsselwörter automatisch die gespeicherten Emoticons in kurze Botschaften um, auf Wunsch auch zu bewegten Bildsymbolen. Nicht alles lässt sich bildlich darstellen. Selbst die alten Ägypter mussten ihre Hieroglyphen zusätzlich mit Lautzeichen ersetzen. Sie benutzten das Bild ei nes Gegenstandes, dessen Name mit demselben Laut begann, wenn sie Vokale, Konsonanten oder Silben ausdrücken wollten. Visuelle Alphabete sind auch in modernen Zeiten immer wieder vorgeschlagen wor den. Bekannter wurden die BlissSymbole von Charles K. Bliss ( 1897-1985), der von chinesischen Schrift zeichen inspiriert eine nichtalphabetische Symbol schrift entwickelte, die er International Semanto graphy nannte. Vielleicht war er einfach zu früh. Durchgesetzt hat sich das Projekt einzig in Kanada für die Kommunikation spastisch gelähmter Kinder. Vergleichbar m it G estuno, e iner i nternationalen Gebärdensprache f ür g ehörlose M enschen. H eute tüfteln NASA und Behörden für Atomendlager an Zei chensprachen, die auch Ausserirdische und ferne Menschheitsnachfahren v erstehen sollen. W ir g e wöhnlichen Bürger haben uns an die nüchternglo bale Sprache der Verkehrssignale und Piktogramme gewöhnt. Selbst die Gefühlswelt der Emoticons ist nicht mehr ganz so poetisch, kryptisch und roman tisch wie zu Gründerzeiten. Zeit ist Geld. Und was ist, wenn der Strom ausfällt? Vielleicht gehört dann die grosse Tasche m it den vielen Gegen ständen zum unent behrlichen Outfit des smarten Zeit genossen. HORIZONTE Streiflicht 673 SCHWEIZERISCHE ÄRZTEZEITUNG -BULLETIN DES MÉDECINS SUISSES -BOLLETTINO DEI MEDICI SVIZZERI 2015;96(18):673
doi:10.4414/saez.2015.03452 fatcat:nge3gouohrafthfnmbv3f5jhea