Kooperation, Kontingenz und die dunkle Materie-ein Essay über das Problem der sozialen Welt
Jan Rommerskirchen
2016
Journal für korporative Kommunikation-Ausgabe
unpublished
Die Fähigkeit zur Kooperation, zum gemeinsamen Planen und Handeln, gehört zu jenen wesentlichen Merkmalen, die Menschen von anderen Lebewesen unterscheidet. Kooperation ist die Grundlage des sozialen Lebens in komplexen Gemeinschaften und des wirtschaftlichen Handelns. Im Spannungsfeld zwischen methodischem Individualismus und Kollektivismus stand und steht die Frage, wie Kooperati-onen durch zumindest ähnliche Intentionen entstehen und unter kontingenten Rahmenbedingungen zu gemeinsamen
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... gen und Zielen führen können. Wie frei oder wie determiniert Menschen hierbei sind, worauf sich ihre Intentionen beziehen und welche Rolle die sogenannte soziale Welt da-bei spielt-all dies sind Fragen, die Kultur-und Naturwissenschaftler seit langer Zeit beschäftigen. Dieser Essay soll den Stand der Diskussion und der Forschung umreißen und einige daran anschlie-ßende Forschungsfragen aufwerfen. Es gehört zu den aufsehenerregendsten Experimenten, mit denen Forscher jemals das menschliche Gehirn untersucht haben: Eine Versuchsperson blickt auf einen schnell laufenden Zei-ger, der in circa zweieinhalb Sekunden einen vollständigen Kreis beschreibt. Die Person soll dabei angeben, bei welcher Zeigerposition sie spontan ihre Hand bewegen will. Gleichzeitig misst ein Elekt-romyogramm (EMG) die Muskelaktivität und ein Elektroenzephalograf (EEG) die Hirnaktivität. Bei der Auswertung der Daten zeigt sich, dass die Aktivierung der Handmuskeln bereits eine halbe bis eine Sekunde vor jenem Zeitpunkt, den die Versuchsperson benannt hatte, im Gehirn ausgelöst wurde (vgl. Libet 2004). Der Physiologe Benjamin Libet hatte mit diesem Experiment Ende der 1970er Jahre bewie-sen, dass das menschliche Gehirn seine Entscheidungen autonom festlegt, bevor diese willentlich reflektiert und bewusst getroffen werden. Die bewusste Entscheidung für eine spontane Handlung ist folglich nur eine Selbsttäuschung, da das Gehirn die Handlung zuvor schon entschieden und eingelei-tet hat. Bedenkt man die Konsequenzen dieses Experiments, so muss man die klassische Definition des Menschen als vernunftbegabtes und daher freies Lebewesen revidieren: Der Mensch glaubt le-diglich, über einen freien Willen zu verfügen, und ist doch nur der ausführende und determinierte Agent seines Gehirns. Die radikale Schlussfolgerung lautet, dass die Freiheit des Willens eine bloße Einbildung sei.
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