Das Untote

Stefanie Schüler-Springorum
2020 Kursbuch  
Warum der Antisemitismus so lebendig bleibt und ist Während diese Zeilen geschrieben werden, findet in Magdeburg der Pro zess gegen den Attentäter von Halle statt, der an Jom Kippur 2019 ver suchte, die dortige Synagoge zu stürmen. Als die massive Tür seinem Angriff standhielt und so das geplante Massaker verhinderte, erschoss er eine Frau, die ihm zufällig über den Weg lief, dann den Kunden eines Dönerimbisses, den er für einen »Nahöstler« hielt, und schließlich ver letzte er mehrere weitere
more » ... rsonen, zum Teil schwer. In der Berichterstat tung über den ersten Prozesstag, an dem der Angeklagte zur Person und zum Tathergang vernommen wurde, dominiert ein Motiv: die Sprach und Fassungslosigkeit der Zuhörer, Richterin und Staatsanwälte, Ange hörige und Journalistinnen eingeschlossen. 1 Es ist schon eine Weile her, dass man in einem deutschen Gerichtssaal eine so umfassende Präsen tation dessen zu Ohren bekam, was die Forschung etwas gedrechselt ein »geschlossenes antisemitisches Weltbild« nennt: Juden sind die Draht zieher hinter allem Bösen. In diesem konkreten Fall lenken sie -einem angeblich »Großen Plan« folgend -muslimische Flüchtlingsströme nach Deutschland, um die dortige Bevölkerung zu zer beziehungsweise zu ersetzen, was nicht nur mittels demografischer Masse, sondern zusätz lich durch die jüdische »Erfindung« des Feminismus geschieht, der bewirkt, dass deutsche Männer keine deutschen Frauen und Letztere nicht mehr genügend Kinder bekommen. So kurz, so krude, so vertraut. Und so wichtig es ist, auf das konkrete politischgesellschaftliche Umfeld zu verweisen, in dem dieses Gedan kengebäude, mehr oder weniger umfassend oder »geschlossen«, mit oder
doi:10.5771/0023-5652-2020-203-53 fatcat:6unds4inx5dftiseysvjnhs2au