Deutsche "Feindaufklärung" vor dem Ersten Weltkrieg: Die Einschätzungen der militärischen Stärke und Planungen Frankreichs und Russlands durch den deutschen Generalstab 1894-1914. (Dissertationsvorhaben)

Lukas Grawe
unpublished
Seit seiner Emanzipation vom preußischen Kriegsministerium war der Große Generalstab sowohl für die Feindbeobachtung als auch für die deutsche Kriegsplanung zuständig. Diese Aufgabenbereiche erfuhren besonders nach der Entlassung Bismarcks im Jahre 1890 einen wesentlichen Bedeutungszuwachs. Mit dem Auslaufen des deutsch-russischen Rückversicherungsvertrages und dem 1894 in Kraft getretenen russisch-französischen Bündnis begann für das Deutsche Reich die Zeit einer realen
more » ... . Der Eintritt des Deutschen Reichs in die "Weltpolitik" seit 1897 und der "unstete" Kurs der Reichsleitung führten vor allem nach der Jahrhundertwende zu wachsenden internationalen Spannungen. Seit der Ersten Marokkokrise 1905/06 stand Europa mehrfach am Rande eines Krieges. Aus diesem Grund war die militärische Führung auf genaue Informationen über die potenziellen Gegner angewiesen, um auf die neuesten militärischen und politischen Entwicklungen reagieren und die eigene militärische Planung darauf abstimmen zu können. Der technologische Fortschritt, der Wechsel des militärischen Spitzenpersonals und äußere Ereignisse (wie die Dreyfus-Affäre 1894 und der Russisch-Japanische Krieg 1904/05) unterwarfen die Armeen der mutmaßlichen Kriegsgegner auf dem europäischen Festland, Frankreich und Russland, ständigen Veränderungen, über die der deutsche Generalstab umfassende Informationen benötigte. Obwohl die Entstehungsgeschichte des Ersten Weltkrieges bis heute Gegenstand vielfältiger historischer Diskussionen ist, wurde die Feindeinschätzung und-wahrnehmung des deutschen Generalstabs vor 1914 in der historischen Forschung bisher vollkommen vernachlässigt. Dies erscheint umso unverständlicher, wenn man bedenkt, dass der Ausbruch des Ersten Weltkriegs und die Rolle, die der deutsche Generalstab in den Vorkriegsjahren und in der Julikrise spielte, ohne die Kenntnis der deutschen Feindeinschätzungen nicht vollständig erfasst werden können.
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