Urbaniok, Frank: Darwin schlägt Kant. Über die Schwächen der menschlichen Vernunft und ihre fatalen Folgen
Thomas von Salis
2021
Swiss Archives of Neurology, Psychiatry and Psychotherapy
Abbildung 1: Buchcover Zürich: Orell Füssli Verlag; 2020. 480 Seiten. Preis: 35,90 CHF. ISBN: 978-3-280-05722-3. Was für eine Absicht leitete den Autor, dieses Buch zu schreiben? Auf S. 12 in der Einleitung schreibt Urbaniok: «Das Buch soll zum kritischen Nachdenken anregen und dazu, sich eine eigene Meinung zu bilden. Denn unabhängige und mündige Bürger, die sich an humanistischen Idealen orientieren, sind der wichtigste Faktor in dem Versuch, die Welt besser zu machen, als sie derzeit ist.»
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... d er glaubt, dass ein Buch dazu beitragen kann, dieses Ziel zu erreichen, denn schon Vasari (1511 geb.) hatte mit einem Buch «gesellschaftliche Wahrnehmungen und damit gesellschaftliche Realitäten geprägt und verändert [...]», so Urbaniok (S. 111). Der Titel lehnt sich an Kants Kritiken an; dabei muss aber davon ausgegangen werden, dass man mit dem Terminus Vernunft doch eigentlich ein Ideal bezeichnet, dem nachgelebt wird. Hier wird sie aber wie eine anthropologische Grösse behandelt, ein Resultat der Evolution. Und somit als Bestandteil des Mängelwesens Mensch. Auf S. 17 verzeichnet der Autor die «Schwachstellen». «Denken und Wahrnehmung bewegen sich in einer vorgegebenen Struktur. Diese Struktur ist mit einem Betriebssystem vergleichbar, ohne das die 'Maschine' gar nicht laufen würde.» Beim Installieren der Programme für unsere Wahrnehmung hat, so Urbaniok, die Evolution «allerdings zahlreiche ‹Bugs› eingebaut». Die Fehleranfälligkeit der Vernunft illustriert er (S. 12) mit einem Beispiel, auf das er immer wieder verweist: Der eine Urmensch gehe davon aus, das Rascheln im Busch stamme von einem Löwen und folglich mache er sich aus dem Staub. Ein anderer Urmensch warte auf weitere Informationen; er wisse, dass nur selten ein Löwe die Ursache des Raschelns sei. Aber das eine Mal, da ihn doch ein Löwe erwischt, schlägt die evolutionären Chancen statt ihm dem Angsthasen zu. «Die Evolution hatte also gute Gründe (...) die Geschwindigkeit und Eindeutigkeit einer Urteilsbildung weit höher zu gewichten als deren Wahrheitsgehalt. Hier wird klar, worin der schlagende Vorteil dumpfer Automatismen und total verzerrter Beurteilungen liegt. Die Folgen dieser evolutionären Ausrichtung der Vernunft sind insbesondere in der modernen Informationsgesellschaft gar nicht hoch genug einzuschätzen.» Der Gerichtspsychiater Urbaniok hat mit seinen Mitarbeitern einen Test [1] entwickelt, der für die Risikobeurteilung der Straftäter eingesetzt wird. Kritiker aus dem Expertenumfeld warnen vor der Anwendung solcher Instrumente, weil die Verantwortlichen, Richter und psychiatrische Experten, sich in einer unter Umständen falschen Sicherheit wiegen, wenn sie ein solches Instrument als Grundlage zur Beurteilung der Täter-Persönlichkeit einsetzen, um Entscheide zu fällen, die über jahre-und jahrzehntelange Freiheitsberaubung bestimmen [2]. Swiss Archives of Neurology, Psychiatry and Psychotherapy · PDF of the online version · www.sanp.ch Published under the copyright license "Attribution -Non-Commercial -No Derivatives 4.0". No commercial reuse without permission. See
doi:10.4414/sanp.2021.03142
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