Einleitung
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2021
Von den historischen Avantgarden bis nach der Postmoderne
Zu Beginn dieses zweiten Teiles unserer Vorlesung, welcher dem komplexen Zusammenspiel von Moderne und Postmoderne gewidmet ist, soll es im Kern zunächst um Möglichkeiten und Grenzen begrifflicher Definitionen (und Abgrenzungen) zwischen drei Termen, drei Begrifflichkeiten gehen: Avantgarde, Postavantgarde und Postmoderne. Ich werde diese Frage ins Zentrum dieses Auftakts stellen, zu einem späteren Zeitpunkt aber erneut auf diese Fragestellung aus veränderter Perspektive zurückkommen. Nicht
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... nach den historischen Avantgarden, sondern bereits im französischen Surrealismus und damit während der vielleicht einflussreichsten und wirkmächtigsten Epoche der europäischen historischen Avantgarden überhaupt, wurden -wie wir bei André Bretons Nadja sahen -Elemente und Dynamiken deutlich, welche eine Ästhetik des Bruches im Sinne von Peter Bürgers Theorie der Avantgarde vermieden. Diese Dynamiken ebneten den Weg für ein differenziertes Wechselverhältnis zwischen den historischen Avantgarden, der oder den Postavantgarde(n) und schließlich auch und gerade der Postmoderne (wie den Postmodernen) im Rahmen der sich ausbildenden Literaturen der Welt.1 Ich werde später noch einmal, anknüpfend an die von Georges Bataille in seiner Novelle Histoire de l'OEil vorgetragenen Begrifflichkeiten, auf diesen Übergang rückblickend eingehen. An dieser Stelle aber soll es um das komplexe Verhältnis zwischen historischen Avantgarden, europäischen wie außereuropäischen Postavantgarden und literarischen Entwicklungen gehen, die wir unter dem etwas unscharfen Begriff der Postmoderne -die ich als eine abgeschlossene Periode der Moderne verstehen werde -fassen können. Mit anderen Worten: Es geht in dieser Phase im Wesentlichen um eine Überwindung von Ästhetiken, die sich ausschließlich oder vorwiegend am Bruch, an der "rupture" mit einer bestimmten Tradition, orientieren. Wollte man es pointiert ausdrücken und ein klein wenig zuspitzen, so ließe sich dies auch in eine Frage kleiden: Wie kam es zu einem mehr oder minder sanften Bruch mit den Ästhetiken des Bruches? Und mit welchen Begrifflichkeiten ließe sich diese Übergangsepoche insbesondere im Bereich der Literaturen näher umschreiben? Wie in allem, was in unserem Vorlesungszyklus noch folgen wird, geht es hier im Kern mehr um vielfältige Formen der Anknüpfung als um die unterschiedlichsten Variationen des Bruchs, mehr um eine Kommunikation als um einen Kommunikationsabbruch, mehr um die verschiedenartigsten Möglichkeiten literarischer Konvivenz (sowie um das, was Jacques Derrida als die "déconstruction" bezeichnete) als um eine zerstörerische Destruktion. Dieser komplexe Übergang ist, so Open Access. © 2021 Ottmar Ette, publiziert von De Gruyter. Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung -Nicht-kommerziell -Keine Bearbeitung 4.0 International Lizenz. https://doi.
doi:10.1515/9783110703450-018
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