Vorreiter wider Willen? Die SED-PDS-Elite und der Systemwechsel in der DDR

Tom Thieme
2013 Zeitschrift für Politik  
Der gemeinhin als »friedliche Revolution« bezeichnete jüngste Systemwechsel 1 in der deutschen Geschichte liegt mittlerweile knapp ein Vierteljahrhundert zurück, doch ein Konsens über die Bewertung des Endes der SED-Diktatur, über die Rolle der Staatspartei, der Opposition und der demonstrierenden Bevölkerung hat sich nicht überall gebildet. 2 Das gilt vor allem für Teile der alten Nomenklatur, die sich heute in der SED-PDS-Nachfolgepartei Die Linke organisieren. So erklärte der einstige
more » ... ngsträger« und Ehrenvorsitzende der PDS Hans Modrow 2010: »Wenn wir Demokratie nicht auf die Chance reduzieren, alle vier Jahre zwischen konkurrierenden Parteien und Personen zu wählen, sondern deren repräsentative Funktion betonen, dann war die ›Regierung der nationalen Verantwortung‹ die in ihrem Profil politisch breiteste, d. h. repräsentativste demokratische Regierung, die es in der bisherigen deutschen Geschichte gab.« 3 Staunen lässt sich nicht nur über die doppelte Fehlperzeption -diese Regierung war bekanntlich weder eine demokratisch gewählte, noch repräsentierte sie entfernt die DDR-Gesellschaft. Ebenso bemerkenswert ist, dass es nach dem Ende der kommunistischen Regime offensichtlich weder zur Einigkeit bei der Einschätzung der Systemwechsel an sich kam, noch über die Bewertung der verschiedenen Akteure. Das gilt speziell für die Rolle der sozialistischen Parteielite. Der »Sonderfall« der DDR -wegen der maßgeblich durch den Wiedervereinigungsprozess geprägten Entwicklung -ist im ostmitteleuropäischen Vergleich kein Einzelfall. 1 »Systemwechsel« bezeichnet in seiner politikwissenschaftlichen Bedeutung den Wechsel zu einem anderen Systemtypus. Das umfasst sowohl den Wechsel von einer Demokratie zur Diktatur als auch die umgekehrte Variante, wiewohl in der Forschung der Übergang zur Diktatur häufig vernachlässigt wird. Im Gegensatz zu den Begriffen Regimewechsel (setzt keine Änderung der Herrschaftsform voraus) und Transformation (umfasst alle Veränderungen, also einschließlich der Dimension Systemwechsel) scheint »Systemwechsel« für die Beschreibung der Gesamtheit unterschiedlicher Transformationswege am besten geeignet. Vgl. zu Grundlagen und Grundbegriffen der Systemwechselforschung Marianne Kneuer, »Transformationsforschung, Systemwechselforschung, Demokratieforschung« in:
doi:10.5771/0044-3360-2013-3-330 fatcat:fcadtlqnqvb5tbbrciceue2zgq