Ueber das Lipochrom der Ganglienzellen1)

Max Rothmann
1901 Deutsche Medizinische Wochenschrift  
Durch die von Nissi inaugurirte genauere Untersuchung der Ganglienzellenstruktur sind unsere Kenntnisse vom Aufbau der Nervenzellen und von ihrem Verhalten unter normalen und pathologischen Verhältnissen rasch gefördert worden. Es hat sich dabei gezeigt, dass die Ganglienzellen beim Menschen und den höheren Thierspezies im wesentlichen gleiche Bauart und gleiches Verhalten gegenöber Einwirkungen auf dieselben besitzen. Um so auffälliger war es, dass ein auch erst in den letzten Jahren genauer
more » ... forschter Bestandtheil der Ganglienzellen des Menschen letzterem allein zuzukommen schien, während er bei den höheren Saugethieren fehlen sollte. Es handelt sich um das hellgelbe Pigment der G-anglienzellen, das sich in den verschiedensten Abschnitten des Nervensystems vorfindet, aber vor allem in den grossen Pyramidenzellen der Hirnrinde und den Vorderhornzellen des Rückenmarks, durch seine massenhafte Ansammlung besonders im höheren Alter, die Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Dieses schon lange bekannte, oftmals fälschlich für eine pathologische Erscheinung angesehene Pigment der Ganglienzellen wurde 1895 von Pilez,7) namentlich hinsichtlich seiner Entstehung in den Nervenzellen, einer genauen Untersuchung unterzogen. Pilez wies nach, dass dieses Pigment beim Neugeborenen fehlt, dass es in den verschiedenen Arten von Ganglienzellen zu ganz verschiedenen Zeiten auftritt, so in den Vorderhornzellen des IRückenmarkes im 7. bis 8. Lebensjahr, in den grossen Pyramideuzellen erst um das 20. Lebensjahr, und dass es mit dem Alter andauernd zunimmt. Auch betonte er bereits die nahe Beziehung des hellgelben Pigments zum Fett, da dasselbe sich mit Osmiumsäure tief schwarz färbt. Letztere Thatsache, die damals jedem Forscher, der das menschliche Centralnervensystem mit der jetzt allgemein verwandten Marchi'schen Methode die ja auch auf der Wirkung der Osmiumsäure beruht bearbeitete, auffiel, bildete dann den Ausgaugspiinkt einer Reihe von Arbeiten, die Rosin3) zuerst allein, zuletzt zusammen mit y. Fengvessy) veröffentlicht hat und in denen er den sicheren Nachweis führen konnte, dass es sich hier thatsächlich um eine Fettsubstanz, ein Lipochrom, und nicht, wie z. B. Marinesco7) vermuthete, um einen lecithinhaltigen Körper handelt. An dieser Stelle will ich auf den Nachweis der Fettnatur des Pigment.s nicht näher eingehen; derselbe konnte von Rosin theils durch das Verhalten des Pigments gegenüber Osmiumsäure und Sudan III, theils durch die Wirkung fettextrahirender Mittel auf die Färbbarkeit desselben erbracht werden. Hier möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf einen Punkt lenken, der das grösste Interesse verdient, dass nämlich dieses beim erwachsenen Menschen, vor allem heim Greise, in geradezu erstaunlicher Menge, hauptsächlich in den Vorderhornzellen auftretende Pigment, das oft beinahe die ganze Zelle einzunehmen scheint und die chromatische Substanz fast ganz verdrängt hat, bei allen Thieren zu fehlen schien. So findet man an dem so vielfach gerade mit der Marchi'schen Methode durchforschten Rückenmark von Hunden und Katzen keine Spur davon, und Rosin bildet noch in seiner letzten ')Vortrag, gehalten im Verein für innere Medizin am 7. Januar 1901. A. Pilez, Beitrag zur Lehre von der Pigmententwickelung in den Nervenzellen. Arbeiten aus dem Rosin und B. y. Fengvessy, Ueber das Lipochrom der Nerven. zellen. Virchow's Archiv Bd. CLXII, 5. 534. ) G. Marinesco, Etudes snr l'évolution et l'involution de la cellule nerveuse. Revue neurologique, Paris 1899, S. 715. Arbeit die Vorderhornzellen eines Ochsen, gleichfalls ohne die Spur derartigen Pigments ab. Er kommt zu dem Schlnss, dass weder der Neugeborene noch irgend eines der kleinen und grossen Thiere, die untersucht wurden, solche Substanz in seinen Ganglienzellen besitze. Ein derartiger Unterschied zwischen Mensch und Thier, noch dazu an Stellen des Nervensystems, an denen hinsichtlich der Funktion zwischen beiden kein nennenswerther Unterschied festgestellt werden kann, erscheint nun aber, besonders wenn wir die sonst oft bis in die Einzelheiten gehende Uebereinstimmung selbst complizirterer Abschnitte des Nervensystems ins Auge fassen, ganz erstaunlich. Es wäre ja dann die Annahme ganz unabweislich, dass der Chemismns der menschlichen Ganglienzellen sich von dem sämmtlicher Thiere ganz wesentlich unterscheidet. Man darf nun aber nicht vergessen, dass auch beim Menschen, wenn wir bei den Vorderhornzellen bleiben, das Lipochrom erst im 6.-8. Lebensjahr auftritt und mehrere Jahre später grössere Ansammlangen erkennen lässt. Zu solchen Mengen des Lipochroms, wie ich sie an den Vorderhornzellen eines 95jährigen Mannes beobachten konnte und Ihnen hier demonstrire, kommt es sogar stets erst im Greisenalter. Die Thiere dagegen, die wir untersuchen, sind in der Regel 2-3 Jahre alt. Nun ist ja richtig, dass bei der wesentlich kürzeren Lebensdauer aller hier in Frage kommenden Thiere gegenüber dem Menschen auch die ganze Entwickelung des Nervensystems eine raschere ist. Trotzdem dürfte es mindestens fraglich sein, ob wir nun das Auftreten des Lipochroms in den Ganglienzellen der verkürzten Lebensdauer entsprechend früher als beim Menschen erwarten können. Dazu kommt aber, dass das Vorkommen von Pigment in den Ganglienzellen von Thieren bereits beschrieben worden ist. D exl er ) gicht bei seiner ausführlichen Schilderung der Ganglienzellen des Pferdes an, dass "das Pigment in den meisten Zellen in Form von blassgelben, verhältnissmässig grobscholligen Massen von bekanntem Aussehen, meist an der Peripherie liegend, sichtbar ist. Eine bestimmte Lagerung desselben hinsichtlich der einzelnen Theile der Zelle ist kaum auszumitteln; es kann sich sogar in die Basis eines Protoplasmafortsatzes hinein erstrecken; niemals liegt es jedoch unmittelbar an oder in einem Ursprungshiigel eines Axencylinderfortsatzes. Die Zwischenräume zwischen den Pigmentschollen zeigen sich an manchen Präparaten von der färbbaren Substanz wie änsgegossen." In D exler's Abbildungen von Nissl-Präparaten der \Torderhornzellen eines neunjährigen Pferdes ist allerdings nichts von diesem Pigment zu erkennen, sodass es nicht in allzu reichlicher Menge vorhanden gewesen sein kann ; über das Verhalten des Pigments gegenüber Osmiumsäure ist nicht erwähnt. Mir selbst2) ist es dann bei einem Affen -gelegentlich meiner Untersuchungen über die Pyramidenbahnen -gelungen, in den Ganglienzellen des Lendenmarks an Marchi-Präparatcn kleine Häufchen feiner schwarzer Körner im Zeihleib der Vorderhornzellen nachzuweisen. Dieselben finden sich nur in einer Minderzahl der Zellen und nehmen nirgends bedeutende Dimensionen an. Ueber das Alter dieses Affen konnte ich leider nichts in Erfahrung bringen. Immerhin schien es nach diesen Erfahrungen denkbar, dass auch bei Thieren in höherem Lebensalter sich solches Pigment in den Ganglienzellen in grösserer Menge entwickelt. Ich benutzte daher die sich mir bietende Gelegenheit, das Lendenmark zweier wegen Altersschwäche getödteter Pferde, die beide sicher üb er l5Jahre alt varen, zu untersuchen. Bereits die Untersnchung nach Nissi -theils mit Nissl'schem Methylenblau, theils mit dem Unna'schen polychromeu Methylenblau lässt mit Sicherheit die Anwesenheit von ziemlich ausgedehnten Flecken von gelblichem, zinn Theil orangegelbem Pigment, theils in der Peripherie, theils im Innern des Zellkörpers der Vorderhornzellen erkennen. Weit deutlicher zeigen die Marchi-Präparate die Anhäufung reichlicher grobscholliger, schwarzgefärbter Körner in der Mehrzahl der Vorderhornzellen, bald an einem Ende des Zellkörpers, bald an zwei durch den Kern getrennten Abschnitten. Oft zieht sich auch ein schmaler Streifen schwarzer Körner bogenförmig um den Kern herum. Die Zellen machen im übrigen einen normalen Eindruck. Die Menge des Lipochroms entspricht ungefähr der bei einem 2újährigen Menschen und differïrt in den beiden untersuchten Fällen nicht wesentlich. Die Körner des Lipochroms sind gröber als die des Menschen, entsprechen dagegen in der übrigen Anordnung vollkommen den menschlichen Verhältnissen. Lässt sich nach diesen Ergebnissen an dem Vorkommen des Lipochroms der Ganglienzellen beim Pferde nicht mehr zweifeln und gestattet ein Vergleich der von Dexler beim 9jährigen und von mir beim 15l6jährigen Pferde erhobenen Befunde die Annahme, dass auch beim Pferd das Lipochrom mit dem Alter zunimmt, findet sich dasselbe ferner bei einem sicher nicht übermässig alten Affen, so ist es sehr wahrschieinhch, dass auch bei den anderen Thieren, wenn hinreichend hohe Altersstufen zur Untersuchung gelangen, ein solches Lipochrom in den Ganglienzellen beobachtet werden dürfte. Solche Untersuchungen sind im Gange, und ich hoffe, Ihnen später darüber berichten zu können.
doi:10.1055/s-0029-1186756 fatcat:plvrxzr74zfknamn4z7wpuu4qi