Politische Meinungsäußerung und richterliche Unabhängigkeit

Theo Rasehorn
1986 Kritische Justiz  
Theo Rasehorn Politische Meinungsäußerung und richterliche Unabhängigkeit I . Der Richter »trägt immer und überall .. . die Toga« . Erst seit jüngster Zeit ist mit der Entscheidung des Niedersächsischen Dienstgerichtshofs für Richter aus dem Jahr I978 wegen eines Presseinterviews des Richters am Amtsgericht Vultejus zur konservativen Einstellung von Richtern I das Problem virulent geworden, wann Richtern, die sich in der Öffentlichkeit zu Rechts-und Justizfragen äußern, vorzuwerfen ist, sie
more » ... hrdeten das Vertrauen in die richterliche Unabhängigkeit ( § 39 DRiG). Inzwischen hat dieses Thema eine derartige Beachtung für die Stellung des Richters bekommen wie kein anderes nach Kriegsende. Zwar wurde Anfang der 70er Jahre über den »politischen Richter«' und über die Mitwirkung von Richtern bei der Ernennung und Beförderung) heiß diskutiert; aber die Diskussion drang kaum über den Rahmen der Justiz hinaus. Mit der Meinungsfreiheit der Richter beschäftigen sich hingegen Öffentlichkeit und Justiz gleichermaßen. Es liegt nahe, mit Friedhelm Hase 4 das Problem vorwiegend von verfassungsrechtlichen Aspekten anzugehen oder auch mit Helmut Fangmann/Ulrich Zachert in einer im Frühjahr I986 erscheinenden UntersuchungS als Frage der Beziehung von Richter und Politik. Bei mir wird als Schlüssel das richterliche Selbstverständnis genommen. Natürlich treffen die drei Aspekte bei den rechtlichen Tatbeständen zusammen. Aber bei den beiden anderen Aspekten wird nicht deutlich, welchen großen Wandel es für das Richterbild bedeutet, wenn z. B. schlicht und logisch und damit auch rechtlich argumentiert wird, es könne keinen Unterschied bedeuten, ob ein Richter seine Meinung im redaktionellen Teil einer Zeitung oder bei den Inseraten über eine Anzeige äußert. Mit letzterem scheint aber offensichtlich -wenn man auf sich wirken läßt, was die juristische Elite hierzu schreibt -die richterliche Unabhängigkeit als das Allerheiligste unseres Staats-und Verfassungssystem betroffen. Zwar bedeutet diese Unabhängigkeit lediglich schlicht und rational Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit sowie die Freiheit von Weisungen. Gesprochen und geschrieben wird aber fast nur über die »innere« Unabhängigkeit, die natürlich empirisch nicht aufgezeigt werden kann, es sei denn über umstrittene psychologische Tests. Gleichwohl -oder gerade deswegen -wird auch der nüchternste und farbloseste Jurist poetisch, wenn er von dieser Unabhängigkeit spricht. Es geht noch um mehr, eben um das Allerheiligste, 1 Veröffendichl bel M. Jacobs. DiszIplinarrechI und MeinungsfreiheIt. KJ '979. 302. 2 R. Wassermann. Der politische Richter. '9 72. 3 Vgl. die Übersicht bel T. Rasehom. Der Richterwahlausschuß als gesellschafdiches Problem der JUstiz. in: R. Wassermann-Festschrift. '985.40 1. 4 Meinungsfreiheit und Richteramt. KJ 1984. 142. 5 Richter in der Demokratie. Campus-Verlag. An neueren Äußerungen sind noch anzuführen : H . Bäumer. Aufrechter Gang m der JUstiz. m: R. Schmid-Festschrift, 1985. S. 199 ; E. LansOlcker. Zweierlei Maß oder Jagd auf unbequeme Richter. Betrifft Justiz 19850 51.
doi:10.5771/0023-4834-1986-1-76 fatcat:3vs7skif7fbjplgdq6a4inf4ru