Pluralismus als "Wert" - Chancen und Hindernisse aus theologisch-ethischer Sicht
[article]
Christof Mandry, Universitaet Tuebingen
2021
dry Der soziale, weltanschauliche, religiöse und ethische Pluralismus der modernen europäischen Gesellschaften und auch der deutschen Gesellschaft ist ein Faktum. Dieser Pluralismus ist auf der einen Seite mit politisch-praktischen Problemen des Zusammenlebens verbunden, wie sie etwa gegenwärtig in Bezug auf den Islam, beispielsweise hinsichtlich des Schleiertragens in der Öffentlichkeit und im Beamtenverhältnis, Schwimmunterricht, Koedukation etc. diskutiert werden. Darüber hinaus gibt die
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... alität der Religionen, Kulturen und Weltanschauungen in einer Gesellschaft dazu Anlass, die Frage nach dem politischen und sozialen Zusammenhalt grundsätzlich zu stellen. Worauf gründet sich die staatlich-gesellschaftliche Einheit, wenn die Gesellschaft kulturell, sozial, religiös und weltanschaulich plural ist? Bedarf es nicht gemeinsamer politisch-moralischer Grundlagen, um ein friedliches, gedeihliches und für alle vorteilhaftes Zusammenleben zu garantieren? Mein Beitrag geht der Frage nach, ob Pluralismus selbst als ein Wert angesehen werden kann, der dazu beiträgt, die gesellschaftliche Faktenlage der Pluralität auszuhalten und politisch sinnvoll zu gestalten. Es geht daher im Folgenden weniger um institutionenethische Fragen der politischen Ethik, etwa rechtsethischer Natur oder hinsichtlich der Beschaffenheit und der Kompetenzen des weltanschaulich neutralen, Religionsfreiheit garantierenden Staates. Sondern es geht um Werthaltungen, die für eine politische Kultur notwendig oder mindestens förderlich sind. So wie es keine Demokratie ohne Demokraten geben kann, kann es auch keine pluralistische Gesellschaft ohne Bürger geben, deren Ethos einer Situation gewachsen ist, in der die national-kulturelle Homogenität des bisherigen Gesellschaftsbildes von neuartiger Diversität abgelöst wird. Im Folgenden wird näherhin zu diskutieren sein, ob, in welchem Sinne und inwieweit «Pluralismus• als ein gesellschaftlich-politischer Wert zu bejahen ist. Welche Rolle dabei die Theologie spielen kann und welche Ressourcen ihr dafür zur Verfügung stehen, wird ebenfalls Aufmerksamkeit finden. Mein Beitrag gliedert sich in drei Teile. Der erste Teil widmet sich der Erfassung der ethischen Problemstellung und ist mit einer Klärung der Begriffe Pluralität und Pluralismus verbunden. Im zweiten Teil geht es um die Werthaltungen der Anerkennung des Pluralismus und der Toleranz, die hinsichtlich ihres Charakters als Werte, ihrer wechselseitigen Abgrenzung und hinsichtlich ihres Gegenstandes zu bestimmen sind. Im dritten Teil werden die subjektiven kognitiven und ethischen Voraussetzungen des Wertes ,Anerkennung des Pluralismus, diskutiert und es wird nach dem kirchlichen und theologischen Beitrag zu einer gelingenden Kultur des Pluralismus als einer «Verantwortung für Werte• gefragt.
doi:10.15496/publikation-55031
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