Die «genetische Revolution» erreicht den medizinischen Alltag. Die SAMW veröffentlicht einen Leitfaden für die Praxis

2004 Schweizerische Ärztezeitung  
Dank der biomedizinischen Forschung und der Entschlüsselung des menschlichen Erbguts (Human-Genome-Projekt) gelingt es immer besser, Krankheitsprozesse bis hin zu ihren molekularen Wurzeln zu verfolgen. Dabei wird immer offensichtlicher, dass für die Entstehung und den Verlauf vieler Krankheiten genetische Eigenschaften mitverantwortlich sind. Das zunehmende Wissen über unser Erbgut eröffnet ein immer besseres Verständnis des Zusammenspiels von Genom und Umwelt. Diese sogenannte
more » ... sche Revolution» hat zwar ihren Ursprung in der Forschung; ihre Folgen werden sich aber zunehmend in der medizinischen Praxis auswirken, denn neue, innovative Möglichkeiten der Diagnose, der Prävention und der Behandlung genetisch mitbedingter Krankheiten lassen sich daraus ableiten. Schon vor dieser Revolution spielte die Genetik in der Medizin eine wichtige Rolle: Ein erfahrener Arzt, eine erfahrene Ärztin vermag alleine mit dem klinischen Blick, mit einer eingehenden Anamnese und Familienanamnese zahlreiche genetische Risiken oder Dispositionen zu erfassen. Die genetische Forschung der letzten Jahrzehnte hat aber nicht nur zu einem vertieften Verständnis geführt, sie hat auch neue Methoden entwickelt, mit deren Hilfe genetische Ursachen und Risiken gezielt untersucht und abgeklärt werden können. Mit molekular-biologischen Verfahren wie PCR (Polymerase Chain Reaction) oder FISH (Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung) und neuen technischen Applikationen wie etwa der Micro-Array-Technik für den Biochip wurden die diagnostischen Möglichkeiten wesentlich erweitert, verfeinert und rationalisiert. Breitere diagnostische Anwendungen: von der Krankheitsdiagnostik zur Lebensplanung Die genetische Analyse von Krankheitserregern (etwa HIV) ist heute bereits Routine, ebenso das Neugeborenenscreening, das seit 1965 neben genetisch bedingten Stoffwechselkrankheiten auch andere genetische Leiden bei allen Neugeborenen untersucht. Die Gendiagnostik wird künftig noch weitaus häufiger und mit zahlreichen neuen Indikationen eingesetzt werden, denn bereits heute ist der Arzt, die Ärztin oft der Frage ausgesetzt, ob das Leiden eines Patienten eine genetische Ursache hat. -In der genetischen Bestätigungsdiagnostik geht es denn auch darum, eine klinisch gestellte Verdachtsdiagnose zu bestätigen oder zu präzisieren bzw. zu verwerfen. -In der pränatalen Diagnostik werden beim ungeborenen Kind genetisch bedingte Krankheiten und Behinderungen erfasst. Dadurch lassen sich Erbkrankheiten oder Behinderungen gelegentlich schon vor der Geburt wirkungsvoll behandeln. Bei schweren Störungen hingegen entscheiden sich die betroffenen Eltern oft zu einem Schwangerschaftsabbruch. -Die präsymptomatische Diagnostik macht es zudem möglich, Krankheitsanlagen festzustellen, lange bevor schwer behandelbare Symptome aufgetreten sind. Dank einer systematischen ärztlichen Überwachung ist es so möglich, bei Personen mit erhöhtem genetischem Risiko Tumore bereits in Frühstadien zu entdecken und zu entfernen. a SAMW, Basel b advocacy, Zürich Korrespondenz: Dr. Margrit Leuthold SAMW Petersplatz 13 CH-4051 Basel E-Mail: leuthold@samw.ch Editores Medicorum Helveticorum Schweizerische Ärztezeitung / Bulletin des médecins suisses / Bollettino dei medici svizzeri •2004;85: Nr 49 2631 In den kommenden Jahren wird die genetische Diagnostik den Praxisalltag immer stärker beeinflussen. Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) hat bereits 1993 «Medizinisch-ethische Richtlinien für genetische Untersuchungen am Menschen» veröffentlicht; vor kurzem hat das Parlament ein entsprechendes Bundesgesetz verabschiedet. Unter dem Titel «Genetische Untersuchungen im medizinischen Alltag -Ein Leitfaden für die Praxis» hat die SAMW Anfang Dezember eine Broschüre publiziert. Diese soll Ärztinnen und Ärzte sowie weitere Medizinalpersonen über die Bedeutung der Genetik in der Medizin informieren und dazu beizutragen, dass das neue Wissen in der Praxis besser genutzt werden kann. Die Broschüre kann gratis bezogen werden beim Generalsekretariat der SAMW (mit der beiliegenden Bestellkarte oder via E-Mail: mail@samw.ch).
doi:10.4414/saez.2004.10876 fatcat:slf754d6wraqddcj6jwaxyp2em