"Warum hat uns das nie jemand gesagt ...?" : Erfahrungen mit Fiktionalität in der bibelpastoralen Arbeit [article]

Sabine Bieberstein, Universitaet Tuebingen
2020
Warum hat una da• nie Jemand geaagt ... ?" Erfahrungen mit Fiktionalität in der bibelpastoralen Arbeit "Ist das wirklich so passiert?" -"Muss man das jetzt glauben?" -"Das kann ja nicht wirklich so gewesen sein?" Solche und ähnliche Fragen haben sicher alle, die in biblischer Kurs-und Seminararbeit tätig sind, oft gehört. Allerdings zeigt meine Erfahrung auch, dass diese Fragen bei weitem nicht einen so dominierenden Platz einnehmen, wie sich vielleicht von außen vermuten ließe. Meist können
more » ... lich die bibelinteressierten Frauen und Männer sehr gut einschätzen, welcher Art die biblischen Texte sind. Wenn die Fragen dennoch auftauchen, dann können die verschiedensten biblischen Geschichten der Auslöser dafür sein: Bei den Schöpfungsgeschichten ist schnell deutlich, dass sie unserem heutigen Weltbild widersprechen, wenn sie als "historische Wahrheit" gelesen werden. Ähnlich steht es mit der Sintflut-oder der Turmbau-Geschichte. Ein wenig anders wird es schon bei den Erzelterngeschichten oder auch beim Exodus; da wird wohl häufig auf eine lange mündliche Erzähltradition rekurriert und irgendwo im vorgeschichtlichen Nebel ein "historischer Kern" angesiedelt, doch verschiebt sich das Problem dadurch nur um ein paar hundert Jahre und wird nicht wirklich angegangen. Vollends brisant wird es für manche dann bei den Jesusgeschichten; hier scheint schnell einmal der Glaube an den "allwissenden Gottessohn", der vielfach recht prägend ist', auf dem Prüfstand zu stehen. Fruchtbare Diskussionen Was aber, wenn die Geschichten nicht "wirklich" so passiert sind? Ist die Bibel dann falsch? Sind wir selbstjahrzehnte-und die Kirche jahrhundertelang irgendwelchen Lügen aufgesessen? Meist wird, so lehrt mich meine Erfahrung, durch solche Fragen eine fruchtbare Diskussion ausgelöst: über das Wort Gottes und die Offenbarung, über Inspiration und menschliche Erfahrungen, über Perspektivität und literarische Gattungen, über Glauben und Wahrheit. In der Regel zeichnet sich am Ende ein vertieftes Verständnis dessen ab, was wir in unserem Leben als "wahr" erfahren, und menschliche Lebenserfahrungen, wie sie in den biblischen Texten zum Ausdruck kommen, werden neu bewertet. Vermeintliche Gegensätze zwischen fiktiv und wahr oder auch zwischen fiktional und real, wie sie als "stum-
doi:10.15496/publikation-46521 fatcat:kw4kz7jo7zdltpzoyistlcjpsa