Acuter Carbolismus durch peritoneale Resorption

1878 Deutsche Medizinische Wochenschrift  
in Cöln. In No. 12 e. a. der Ben. kim. Woeheschrift veröffentlieht Herr Dr. Max Oberst einen Fall von acutem Carholismus durch Verschlucken von 9 Gramm CarbolsLure in 5 procentiger Lösung. Die Betrachtuiigen, welche hieran geknllpft werden, und der Umstand, dass in der Literatur meines Wissens kein einziger Fall verzeichnet ist, in dem eine acute Carbolvergiftung durch Resorption von der Bauchhöhle aus erfolgte, veranlassen mich zu folgender Mittheilung. Am 4. Februar C. a. enucleirte ich bei
more » ... r 3ljährigen Frau X. ein retrocervicales Fibroid von 250 Grammes, welches bis dicht au die vordere Rectaiwand heranging. Da die Kapseiroste durch Eiterung sich abstiessen, und der Eiter bei abendlichen Temperaturen von 39° übelriechend wurde, machte ich täglich 2 Mal eine Ausspilung der Kapsethöhle und des kleinen Uterus, der der Geschwulst wie eine Kappe aufgeaessen hatte. Nachts wurde durch die Wttrterin noch eine Scheidenausspritzung gemacht. Zu diesen Injectionen, die vermittelst des Hegar'schen Trichterapparats ausgeflihrt wurden, benutzte ich eine lOprocentige Carbollösung, von welcher jedesmal circa 150 Grammes auf ein 1700 Grammes enthaltendes Waschgefäss voll lauen Wassers gebraucht wurde. Es kamen also jedesmal 15 Grammes Acid. carbol. in einer noch nicht 1 procentigen Lösung zur Verwendung. Als ich am 13. Februar Abends in gewohnter Weise ic Ausspulung vornahm, bemerkte ich, in der Unterhaltung mit dem mir assistirenden Hausarzte, Herrn Dr. Hopmann, begriffen, plötzlich, zu Ende der Eingiessung, dass fast gar Nichts nach Aussen abgeflossen war; in demselben Momente griff die Patientin nach ihrem Kopfe und mit dem Ausrufe: Wie wird mir" verlor sie das Bewusstsein, es traten toniche Kräinpfe der Extremitäten auf, das Gesicht wurde leiehenblass, mit kaltem Seh weisse bedeckt, verfallen, Respiration anfangs ganz aussetzend., später oberflächlich und verlangsamt, der minimal kleine Puls war nicht zu zählen. Das Abdomen trieb sich im Nu auf, der ganze Körper war kalt, und wir glaubten nicht anders, als dass der Tod in den nächsten Minuten eintreten werde. Zum GlUcke hatten wir sowohl Moschustinctur als Aether zur Hand, zu deren Anwendung wir schon bei den der Operation vorhergehenden, das Leben der Kranken bedrohenden Uterushlutungen genöthigt gewesen waren. Wir spritzten von Beiden wiederholt mehrere Spritzen voll unter die Haut ein und applicirten zu beiden Seiten des ganzen Körpers heisse KrUge. Als der Puls nach etwa 'I, Stunde sich wieder etwas gehoben hatte, war unser nächster Gedanke der, dem ohne Zweifel in die Bauchhöhle geflossenen Carboiwasser Abfluss nach Aussen zu verschaffen. Dic Percussion ergab sowohl in den Inguinal-als den tiefen Lumbalgegenden einen etwas gedämpften Schall, es wölbte sich aber keine Stelle, weder am Abdomen noch in der Scheide vor, welche zur Punction eingeladen hätte. Vielleicht würde dies der Fall gewesen sein, wenn man 41e Patientin aufgerichtet hätte, allein dazu fehlte uns bei der noch immer bedrohlichen Qehirnanämie die Lust. Auch Herr Hospitaloberarzt Dr. B ardenbeuer, den wir inzwischen hinzugeheten hatten, rieth, von solchem Vorhaben abzustehen. Es dauerte wohl 2 Stunden, bis die Kranke wieder im Stande war, zu schlucken, und wir benutzten sofort diese Möglichkeit, um ihr auch per os Reizmittel, bestehend in heissem 191 Grog, starkem Kaffee etc. zuzuführen. Wir erwarteten min eine acut einsetzende Peritonitis und schickten un schon dazu an , derselben , nachdem alimalig die ICörperwärine wiedergekehrt war, durch Eisumschläge auf das überall empfindliche Abdomen entgegen zu wirken. Da aber die Kranke, die nach Verlauf von 4 Stunden wieder einen Schimmer voi. Bewusstsein erlangt hatte, sich hartnäckig dagegen sträubte, so wechselten wir die Eisumsehläge mit hydropathisohen und entfernten uns mit der Weisung , die innerlichen Reizmittel noch de ganze Nacht hindurch fortzusetzen. Als wir am folgenden Morgen uns wieder bei der Kranken trafen, waren wir erstaunt, das Gespenst der acuten universellen Peritonitis nicht in Erscheinung getreten zu sehen. Es wurde uns der tiefgrttnschwarze Carbolurin vorgezeigt , aber die Druckempfindlichkeit des Abdomen hatte nachgelassen, die gedämpften Stellen wurden alimälig heller, und das Allgemeinbefinden der Kranken befand sieh schon bald im Status quo ante. Ich will es dahin gestellt sein lassen, ob die Injectionsflüssigkeit durch die Tuben oder durch eine Perforationsöffnung ihren Weg in die Bauelihöhle gefunden ; für letztere Annahme sprach der Umstand, dass in den dem unangenehmen Zwischenfalle vorhergehenden'Tagen der bis dahin rein eitrige Ausfluss blutige Beimengungen gezeigt hatte. Wir hielten es aber in jedem Falle für gerathen, von weiteren Ausspülungen Abstand zu nehmen, und siehe dasic waren auch nicht mehr nöthIg, denn der acute Carbolismus hatte so gründlich desinficirend gewirkt, dass fortan kein Fieber und kein übler Geruch des Eiterausflusses mehr zu bemerken war. Nur eine unangenehme Folge hatte die Carboliutoxication welche die weitere Recouvalescenz der Patientin noch fur mehrere Tage störte, -und ich bebe dies um so mehr hervor, als Herr Dr. Oberst in seinem Falle gerade das Gegeutheil beobachtete -es war dies ein eitriger Blasenkatarrh, den ich mir gar nicht anders als durch den Reiz erklären kann, den die massenhafte und in so kurzer Zeit erfolgte Ausscheidung der Carbolsäure auf die Blasenschleimhaut ausgeübt hatte. Schon am Abende des 14. Februar war die Ausscheidung durch den Urin beendet, wenigstens hatte der Unu schon zu dieser Zeit seine Carbolfarbung verloren. Es bildete sieh darauf in den nächsten 7 Tagen ein Blasenkatarrh aus, bei welchem unter heftigem Tenesmus ein saurer, eiweissbaltiger Una entleert wurde, der nach längerem Stehen ein milchiges Sediment absetzte, welches mikroskopisch und chemisch sich als reiner Eiter erwies. Der scheinbare Gegensatz zum Oberst'schen Falle, in welchem durch den acuten Carbolismus ein bestehender heftiger Blasenkatarrh zur Heilung gebracht wurde, erklärt sieh wohl durch die Differenz der Dosis, in welcher das Gift zur Wirkung gelangte. Wie viel Carbolsäure in unserem Falle zur Resorption kam, kann ich leider nicht mit Genauigkeit angeben, da immerhin ein kleiner Theil der Flüssigkeit nach Aussen abgeflossen war, und da ich nicht sicher wei8s, ob ich die lOprocentige Lösung vor dem Gebrauche geschüttelt habe. Als Minimum muss ich aber doch 5 Gramm Acid. carb. annehmen, während ich nicht leugnen kann, dass möglicherweise das doppelte Quantum in die Bauchhöhle gekommen ist. Im O berst'schen Falle dagegen kamen der Wahrscheinlichkeitsberecbnung nach nur 1'/, Gramm, und diese noch auf dem Umwege des Magens, zur Wirkung; denn von 180 Gramm einer 9 Grasmn Acid. carb. enthaltenden Flüssigkeit wurden nach wenigen Minuten 150 Gramm aus dem Magen wieder herausgepunipt. Wie z. B. Terpenthin und Copaivbalsam einen Blasenkatarrh heilen können, wenn sie in kleinen Dosen verabreicht werden, so vermligen sie umgekehrt in grossen Dosen einen solchen zu erzeugen. Kleine Dosen einer im Barn wieder ersebei-Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.
doi:10.1055/s-0029-1194302 fatcat:zdzlesospzf23mgpopmgaqzkyy