Zu einigen historischen Bedingungen des Projekts von 1917
Fritz Reheis
2019
Es ist nicht einfach, sich ein verläßliches Bild über die Sowjetunion zu verschaffen. Nicht nur, weil sich dieser Staat von seinem Selbstverständnis her bis heute bewußt von vielem abgrenzt, was in der sogenannten Ersten Welt als unverzichtbares normatives Fundament gilt. Auch, weil Daten über die Sowjetunion mit großer Vorsicht zu behandeln sind. Informationen etwa über das ökonomische Potential tragen stets den Stempel derer, die sie herausgegeben haben. Jüngstes Beispiel: Die Mitte 1990 beim
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... Weltwirtschaftsgipfel in Houston in Auftrag gegebene Gemeinscha.fustudie von Weltbank, IWF und OECD schätzt das sowjetische Pro-Kopf-Einkommen auf ein Zehntel des amerikanischen, der CIA hatte jahrelang von einem Drittel gesprochen. Ähnliches haben Militärexperten für den Bereich der Rüstungspolitik seit langem beobachtet. Ein wissenschaftlich anspruchsvolles Urteil über die Sowjetunion, insbesondere über das Scheitern des Projekts von 1917, sollte deshalb sehr selbstkritisch mit Anspruch und Wirklichkeit der Geschichte dieses Staates umgehen. Davon ist man in der gegenwärtigen Diskussion -so meine Thesemeist noch weit entfernt. Das Ende des 1917 begonnenen Weges wird fast überall kurrerhand auf dessen sozialistisch-planwirtschaftliche Grundorientierung zurückgeführt. Diese Erklärung ist allein schon deshalb unhaltbar, weil vom Scheitern eines singulären historischen Projekts bekanntlich aus rein logischen Gründen niemals auf eine bestimmte Voraussetzung dieses Projekts geschlossen werden kann. Zum andern können auch gute empirische Gründe für die Erklärung dieses Scheitern genannt werden, die nichts mit den sogenannten Funktionsproblemen von Planwirtschaften zu tun haben. Ich werde im folgenden einige historische Bedingungen für die Entwicklung der Sowjetunion seit 1917 darstellen, die das Transformationsprojekt am Anfang und während seiner ganzen Dauer schwerstens belastet haben und somit für das Scheitern auf alle Fälle mit verantwortlich zu ma-
doi:10.20378/irbo-54487
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