Die diätetische Behandlung der Magenerweiterung

1900 Deutsche Medizinische Wochenschrift  
Während wir auf der einen Seite die Mode einen all zu starken Einfluss auf die Entwickelung der Heilkunde nehmen sehen, beobachtet than auf der anderen Seite zuweilen ein starres Festhalten an alten, eingewurzelten Anschauungen, die sich von einem Lehrbuch ins andere schleppen und als so selbstverständlich richtig gelten, dass gar kein Zweifel darüber aufkommt. Ein Dogma dieser Art, das von den Praktikern seit Jahrzehnten streng befolgt wird, ist auch die Vorschrift von der Nothwendigkeit der
more » ... ockendiät bei der Magenerweiterung. Der berühmte Wiener Kliniker van Swieten soll der Urheber dieses diätetischen Regimes sein, das nach ihm noch viele Lobredner gefunden hat. Sogar von der Schroth'schen Cur, der rigorosesten Form der Durchführung der Trockenkost, berichten frühere Autoren sehr gute Resultate. Um von vielen Beispielen nur eines herauszagreifen, das mir gerade zu Gesicht kommt, so finde ich aus der Winternitz'schen Klinik aus dem Jahre 1873 eine sehr anschauliche Schilderung dieser --qualvollen Behandlung. Die typische Schroth'sche Cur hat gegenwärtig wohl kaum noch Anhänger unter den Aerzten; die prinzipielle Trockenkost bei Magenerweiterungkommt aber nicht nur noch täglich zur Ausführung, sondern findet auch in der neueren und neuesten Litteratur entschiedene Vertheidigung oder wenigstens theilweise Empfehlung. So sagt C. A. Ewald in Eulenburg's Realencyclopädie 1897: "Im grossen und ganzen sind Flüssigkeiten zu vermeiden, weil sie durch ihr Gewicht den Magen belasten, von den Magenwänden schlecht resorbirt werden und wegen der Pylorusstenose viel zu lange im Magen verweilen. Dass letzteres der Fall ist, zeigt ja der andauernd mit gestauter Flüssigkeit gefüllte Magen, und ist mir die neuerdings beliebte Empfehlung von flüssiger Nahrung unter diesen Umständen geradzu unverständlich. Dass Flüssigkeiten aus dem gesunden Magen alsbald in den Darm übergehen, hat doch nicht dasselbe Verhalten bei Pylorusstenose zur Folge. Schon Suppen, grössere Quantitäten alkalischer Getränke, Mineralwässer oder reines Wasser, viel Thee und Kaffee sind ganz zu vermeiden. Auch von der Milch mache ich nur in kleinen Mengen, Theelöffel bis Esslöffel in kurzen Zwischenräumen Gebrauch. Am radikalsten würde es sein, wenn man unter solchen Verhältnissen eine Schroth 'sche Trockencur durchführen könnte. Das ist aber, weil es sich nie um kurze Zeiträume, sondern um Monate, event. um Jahre handelt, nicht angängig, und so muss man sich mit sehr modificirten Trockencurregimen begnügen". DEUTSCHE MEDJCIMSCHE WOCHENSOBTRIFT. No. 11 Fleischer äussert sich in seinem Lehrbuch dei inneren Medicin" 1896: Wird vom Magen und Dünndarm (wegen der Motilitätsstörungen) nur noch wenig Wasser aufgenommen , so ist die Einführung von Getränken, stark wasserhaltigen Speisen (Suppen, Obst u. s. w.) möglichst zu beschränken oder ganz zu verbieten." Boas hat, wie er in seinem Lehrbuch 1895 mittheilt, frilher ausschliessliche Trockenkost gegeben, weil feste Substanzen am besten vertragen werden, und lässt sie als die normale auch jetzt noch gelten. Nachdem er aber in einem Falle die Beobachtung gemacht hat, dass flüssige Substanzen den Magen schneller verliessen als feste, empfiehlt er das flüssige Regime wenigstens für einzelne Fälle, die er freilich selbst nicht näher charakterisirt. Wegele sagt in seinem Buche: "Die dilitetische Behandlung der Magen-und Darmkrankheiten" 1896, nachdem er die praktische Unmöglichkeit der Durchführung einer absoluten Trockendiät hervorgehoben hat: "Immerhin ist die Flüssigkeitsbeschränkung eine der wichtigsten Punkte bei der Behandlung der relativen und absoluten Mageninsufficienz . . . Jedenfalls werden wir von einer Milchdiät, welche fräher öfter verordnet wurde und selbst von Wiel noch empfohlen ist, ganz absehen müssen ... Suppen und Getränke nach den Mahlzeiten sind völlig zu vermeiden." Bei der Empfehlung der Trockenkost ist das hauptsächlichste und ausschlaggebende Moment der Autoren immer die Erwägung gewesen , dass in erweiterten Mägen die Resorption seitens der Magensehleimhaut sehr gering oder ganz aufgehoben ist und Flüssigkeiten deshalb den Magen nur unnöthig belasten. Diese Voraussetzung der Autoren ist aber gänzlich unzutreffend. Nur eine scheinbare Stütze hat dieses Argument noch in neuester Zeit durch die bekannten Versuche y. Mering's erhalten, welche zum ersten Male den exacten Nachweis brachten, dass auch der gesunde Magen eine sehr geringe Resorptionsfähigkeit besitzt und der aufgenommenen Flüssigkeiten dadurch Herr wird, dass er sie sehr schnell in den Darm weiter befördert, wo sie erst der Resorption unterliegen. Gerade den entgegengesetzten Schluss hätte man aus den bedeutsamen Untersuchungen y. Mering's ziehen sollen: Dass nämlich für das Zustandekommen der Verdauungsarbeit des Magens die Resorption mr den erweiterten Magen ebenso wenig in Betracht kommt, wie für den gesunden. Es ist ganz gleichgültig, ob die Resorption auf der catarrhalisch meist mehr oder minder afficirten Schleimhaut des erweiterten Magens noch geringer ist, als auf der normalen Magenschleimhaut, denn es kommt hei der Erwägung der Schädlichkeiten , welche die Gastrektasie für die Verdauung der Nahrungsstoffe setzt, nur der Zustand der motorischen Function in Betracht. Von ihr allein hä.ngt das Schicksal der aufgenommenen Nahrung und ihrer Verwerthung im Organismus ab! In dieser Hinsicht aber ist der erweiterte Magen weit schlechter als der normale gestellt, weil seine Muskulatur fast jegliche Contractionskraft verloren hat. Wenn nach y. Mering der Magen das Wasser am schnellsten von allen Ingestis ausstösst, so ist als einziger logischer Schluss daraus für die Therapie die Thatsache abzuleiten, dass angesichts der geringen resorptiven Thätigkeit des Magens die flüssige Nahrung schon für jeden normalen, vollends aber für den motorisch kranken Magen die adäquateste Nahrung ist. Die Untersuchungen von Moritz haben zudem einwandsfrei erwiesen, dass flüssige Kost vom Magen schneller in den Darm befördert wird als breiige, diese wiederum schneller als feste. Dieses Verhalten ist übrigens ein so selbstverständliches, dass man sich wundern muss, dass dafür überhaupt ein Beweis erst nothwendig war. Aus jedem geschlossenen Rauni mit elastischen Wänden kann man durch mechanischen Druck den specifisch leichtesten Inhalt am schnellsten herauspressen, während breiige und vollends feste Substanzen mehr oder minder zäh an den Wandungen haften. Davon kann man sich z. B. durch einen Versuch an einem Gummiballon leicht überzeugen. Für den Magen mit normaler motorischer Function ist die Einführung selbst grösserer fester Bissen ohne Belang, weil die Muskelkraft der gut gespannten Magenwand, sie, wenn auch verspätet, in den Darm gelangen lässt. Das kann man z. B. sehen, wenn man Jemandem drei oder vier Stunden nach einer opulenten Mahlzeit den Magen aushebert. Man findet dann stets einen sehr dicken Chymusbrei mit einer Unmenge fester Nahrungsreste. Ganz anders aber liegen die Verhältnisse bei geschwächter oder ganz darnieder liegender metorischer Function. Da ist Heruntergeladen von: NYU. Urheberrechtlich geschützt.
doi:10.1055/s-0029-1203753 fatcat:k7pygnhy5zg2llghp5g54k5dqe