Überkreuzte Blicke. Merleau-Ponty, Lacan, Beckett, Spencer-Brown [chapter]

Antje [Hrsg.] Kapust, Bernhard [Hrsg.] Waldenfels
2018
Im Jahre 1964 erscheint, drei Jahre nach dem frühen Tod von Maurice Merleau-Ponty, eine Sammlung von Textentwürfen und Arbeitspapieren, die unter dem Titel Le Visible et l' Invisible bei Gallimard veröffentlicht werden. Merleau-Ponty hat darin dem Blick eine wichtige Rolle zugewiesen. Er verschränkt den Blick mit der Hand, den Sehsinn mit dem Tastsinn und zieht daraus verschiedene Schlüsse über die Funktion der menschlichen Wahrnehmung, über die Welt, wie sie zu sein scheint, wie wir sie
more » ... n und über das Selbst, das sich im Tasten und im Blicken selbst erfährt. Eine besonders wichtige Rolle spielt der Blick in der Konzeption des Ande ren, beim Übergang von einem solipsistischen Ich zu einer sozialen Interaktion und der gesellschaftlichen Konstitution der Wirklichkeit durch gegenseitiges Blicken und Erblickt-Werden. Im Februar und März 1964 erläutert Jacques Lacan in sei nem Seminar XI in mehreren Sitzungen seine Auffassungen zur visuellen Wahrneh mung und zum Blick. Er bezieht sich in seinen Ausführungen unter anderem auch auf Maurice Merleau-Ponty und Jean Paul Sartre.1 Im selben Jahr schreibt Samuel Beckett das Drehbuch zu seinen ersten Film mit dem schlichten Titel Film, der unter der Regie von Alain Schneider in New York gedreht und am 4. September 1965 auf der Biennale in Venedig uraufgeführt wird. Die Hauptrolle spielt der Stummfilmstar Buster Keaton. In dem Film versucht der Hauptdarsteller konse quent bis zum Ende des Films jeglichem Blick, sei es dem der ihn verfolgenden Kamera, sei es anderer Passanten, sei es dem Blick seiner Haustiere, sei es dem Blick von Bildern, auszuweichen. Am 17. April 1969 erscheint in London die erste Aus gabe von George Spencer-Browns Laws ofForm, einem Indikationenkalkül, in dem er eine formalisierte Theorie der Unterscheidung und Bezeichnung entwickelt, die in der Folge eine weitreichende Rezeption durch Autoren wie Heinz von Foerster, Francisco Varela, Niklas Luhmann und Fritz B. Simon findet.2 1 Lacan, Jacques, Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse. Seminar XI,
doi:10.11588/artdok.00006034 fatcat:7ygakeapnre2zc34qblqt3c5ee