Abrahams Versuchung : Verstehensansätze für ein ethisches Dilemma
Wilfried Ruff
2015
Abraham wird von einer Stimme aufgefordert, seinen Sohn Isaak zu opfern, womit sein Glaube und Gehorsam geprüft werden sollen. Diese Aufforderung stürzt Abraham in einen ethischen Konflikt, der unlösbar scheint und auch als Versuchungssituation verstanden werden könnte. Eine tiefenpsychologische Deutung dieses Konflikts als eines intrapsychischen Geschehens (zur Machtsicherung, als Schuldverschiebung oder als Ausdruck eines Strafbedürfnisses) muss nicht einem theologischen Verständnis
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... hen, das im Text vor allem das Heilshandeln Gottes in der Errettung des zum unschuldigen Opfer bestimmten Isaaks sieht. Ein Skandalon ist diese Erzählung über Abraham, der auf Geheiß Gottes seinen lang ersehnten und geliebten Sohn schlachten soll und dies auch tun will, so dass ihm ein Engel dazwischen fahren muss, um die Opferhandlung kurz vor dem Todesstoß Abrahams zu verhindern (Gen 22,1-14). Obwohl wir zu Beginn der Geschichte davon unterrichtet werden, dass sie gut ausgehen wird, schockiert sie immer wieder. Und dennoch fasziniert sie und verleitet zur Frage: Wie kann Gott eine solche unmenschliche, ja verbrecherische Forderung stellen und jemanden derart erproben wollen? Und wie kann sich Abraham auf einen derartigen Mordauftrag einlassen, zumal es um seinen Sohn geht? Dafür dass er dies getan hat, wird er seitdem sogar gepriesen und idealisiert als "Vater und Vorbild aller Glaubenden". Zwar hat die historisch-kritische Pentateuchforschung darauf hingewiesen, dass das Hauptanliegen des Textes nicht das Verstehen der Motive Abrahams, sondern das Handeln Gottes in der Errettung des zum Opfer bestimmten Isaaks sei. Doch schon in der jüdischen Auslegungstradition (Midrasch) und bei den frühen christlichen Interpreten (z.B. Origenes) wurde der Konflikt Abrahams reflektiert (Veijola 1988, 132-135). In neueren theologischen Kommentaren wird der Konflikt zwischen Liebe zum Sohn und Gehorsam gegenüber Gott eher umgangen, indem auf Abrahams Glaubenszuversicht verwiesen wird: er habe ganz darauf vertraut, dass Gott ihm einen Ausweg aus seiner Gewissensnot zeigen werde. Hatte er doch auf die Frage Isaaks, wo das Schaf zum Brandopfer bliebe, geantwortet: "Gott wird sich das Opferlamm aussuchen, mein Sohn!" (22,7f.) 1 . War er sich dessen sicher oder hatte er nur eine Ausflucht gesucht? Den beiden Knechten am Fuß des Berges hatte er bedeutet: "Ich will mit dem Knaben hingehen und anbeten; dann kommen wir zu euch zurück" (22,5). Hatte er also gewusst, dass er mit seinem Sohn zurückkehren werde? Das gleicht jenem vertrauensvollen Glauben, wie ihn der Hebräerbrief beschreibt: "Aufgrund des Glaubens brachte Abraham den Isaak dar, als er auf die 1 Alle Bibelzitate nach der "Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift", Stuttgart 1980.
doi:10.5282/mthz/3668
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