Rede bei der Eröffnung der Akademie für praktische Medizin in Köln am 10. Oktober 1904

1904 Deutsche Medizinische Wochenschrift  
Die Aufgaben für die Lehrenden und für die Lernenden der Medizin haben sich in den letzten 40 Jahren ganz enorm vermehrt. Während früher in der zweiten Hälfte des Studiums außer den drei Hauptfächern der praktischen Medizin kaum etwas anderes gelehrt wurde, haben sich immer mehr einzelne Disziplinen abgesondert: Augenheilkunde, Kinder-, Nasen-, Ohren-, Hals-, Haut-, Geistes-, Nerven-, Zahnkrankheiten werden in besonderen, ihnen gewidmeten Instituten und von besonderen Lehrern doziert. Die
more » ... ung der Hygiene und Bakteriologie, vor einem Menschenalter kaum geahnt, erfordert heutzutage ein mühevolles Studium für sich. Es ist berechnet, daß die Zahl der Stunden, die der Mediziner in den Hörsälen zubringen muß, sich seit 40 Jahren mehr als verdoppelt hat. Wenn auch wir Lehrer uns in der Stundenzahl beschränken, wenn wir auch bestrebt sind, mit dem modernen Mittel des Anschauungsunterriclits und in konzentrierter Form den Lehrstoff den Studenten zu übermitteln, so reicht doch die Zeit nicht aus. Mit Schmerz mußten wir die Ueberzeugung gewinnen, daß die Ausbildung der Mediziner, namentlich in den praktischen Fächern, eine ungenügende blieb. Früher wurde die praktische Medizin und die Technik, wurden die unendlich vielen kleinen und doch so unbedingt notwendigen Kunstfertigkeiten zum grossen Teil in den Polikliniken gelehrt. Der Student beschäftigte sich in den poliklinischeu Sprechstunden und besuchte die Kranken in ihren Wohnungen in der Stadt oder auf dem Lande. Er lernte dabei unter Anleitung des Lehrers ärztlich behandeln. Dazu fehlt jetzt die Zeit, denn in den letzten, den am meisten belasteten klinischen Semestern muß der Student oft zehn Stunden täglich im Hörsaal sitzen. Früh 6 Uhr beginnen im Sommer die Kurse, und vor abends 7 Uhr hören die Vorlesungen nicht auf. Dies ist zuviel. Der Student arbeitet schließlich nur für das Examen. Darunter leidet die praktische Ausbildung; nur diejenigen, welche Assistenten an Krankenhäusern wurden, konnten die Fertigkeit und Sicherheit erringen, die zur erfolgreichen Ausübung der Praxis notwendig ist. Aber nicht mehr als 10% der Mediziner Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.
doi:10.1055/s-0029-1187791 fatcat:2bohy6j4uzaf3mb2hfctgjeoi4