Über das Zusammenwirken von Arzt und Schule in Krüppelheimen
Peter Bade
1908
Archiv für Orthopädische und Unfall-Chirurgie
Das Krfippelheim in seinem weitesten Sinne ist eine der eigenartigsten humanit~iren SchSpfungen, die wir zurzeit besitzen. Denn es ist ein kleiner Staat im Staate gewissermassen. Wir sehen, dass in ihm ein mit einem kriippelhaften Gebreehen behaftetes Individuum in den ersten Lebensjahren aufgenommen wird. Die Anstalt iibernimmt yon dem Augenblick an die Pflichten der Eltern gegen das kleine Kind. Sie iibernimmt nicht bloss seine Ern~ihrung und seine Kleidung, sondern auch seine Erziehung. Die
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... nstalt iibernimmt aber auch die Pflicht, durch ~rztliche Behandlung das Gebrechen der Kinder zu heilen oder zu bessern, gleichgiiltig we]cher Art die Behandlung sein kann, gleichgiiltig mit welchen materiellen Einbussen die Aufgabe gelSst wird, wenn nur das grSsstmSglichste bei dem Kriippel erreieht wird. Die Anstalt sorgt aber nicht bloss fiir arztliche Behandlung, sie hat auch ihre eigene Schule und vermittelt dem durch sein Leiden an die Anstalt innig gefesselten Pflegling einen geeigneten Unterricht, der ihm Volksschulbildung verschaffen soll. Endlich nicht genug damit, sorgt die Anstalt auch fiir die heranwachsenden ZSglinge in zweifacher Beziehung noch weiter. Sie bildet die geeigneten Elemente in gewissen ttandwerken aus, sie hat ihre eigenen Lehrlingswerkst~itten, in denen eine Reihe yon Pfleglingen sich zu einem Beruf, als Tischler, Schneider, Kunstschnitzer usw. ausbilden kSnnen. Sie stellt diese ansgebildeten Kr~fte zum Teil selbst in ihren eigenen Betrieben an und verschafft ihnen auf diese Weise ihr Brot, oder aber sie besorgt ihnen --ihrer Eigenart und Ausbildung entsprechend --Arbeitsstellen ausserhalb der Anstalt. Fiir diejenigen Pfleglinge jedoch, an denen alle ~rztliche und erzieherische Kunst nutzlos oder zu wenig erfolgreich gewesen ist, sorgt sie durch 0berweisung in die Siechenabteilung und entlastet auf diese Weise Familien und Gemeinden der direkten Sorge um diese beklagenswerten GeschSpfe. Wir sehen also, dass sich innerhalb der Anstalt der Kriippelheime das staatliche Leben einer ganzen Reihe yon Menschen, gewissermassen yon der 1) Nach einem Vortrag, gehalten auf der IV. Konferenz far Kr~ippetfUrsorge.
doi:10.1007/bf02602573
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