Dokument 28-33
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Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland (1970)
Geheim 30. Januar 1970 1 Protokoll über den deutsch-sowjetischen Meinungsaustausch. 4. Gespräch (1. Gespräch Staatssekretär Bahrs) am 30. Januar 1970, 10 Uhr im sowjetischen Außenministerium. 2 Teilnehmer: Gromyko, Falin, Tokowinin, Krascheninikow, Smirnow, Staatssekretär Bahr, Botschafter Allardt, Wolff, Peckert, Sanne Gromyko: Bittet Bahr anzufangen. 3 Bahr. Ich werde ganz offen sprechen, und ich meine, was ich sage. Bei einem Gespräch braucht man nicht jedes Wort auf die Goldwaage zu legen.
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... ir machen ja noch keine Texte. Ziel des Meinungsaustausches ist es, dahin zu kommen, über Texte zu reden. Daß es zu diesem Meinungsaustausch gekommen ist, ist vielleicht eine historische Situation, die wir nutzen wollen. Gegenwärtig sprechen die SU und die USA über SALT. Wir begrüßen das. Die SU hat die ESK vorgeschlagen. 4 Wir begrüßen das. Die Entspannung in Europa wäre ohne eine positive Haltung der Bundesregierung sehr viel schwieriger. Es gibt Dinge, die nur die Bundesregierung tun kann. Die Bundesregierung muß dabei ihre schwache Position im Parlament im Auge behalten. Was ist heute, 25 Jahre nach Hitlers Krieg, möglich? Man muß von dem ausgehen, was ist. Wir haben Verständnis dafür, daß die SU auf der ESK keine Fragen behandeln will, die heute noch nicht lösbar sind. Wir können heute das Verhältnis SU-Bundesrepublik normalisieren, wie wir das auch gegenüber 1 Durchdruck. 2 Egon Bahr notierte dazu im Rückblick: »Am 30. Januar ging es dann los. (...) Andrej Gromyko kommt als letzter und begrüßt mich wie einen alten Bekannten, erinnert an New York. Wir sitzen uns gegenüber, neben ihm Valentin Falin, den der Ruf eines harten Brockens umgibt, und weitere Mitarbeiter, darunter der Dolmetscher. Auf unserer Seite auch acht Personen, je vier aus Bonn und der Botschaft. [...] Ich will die starke innere Anspannung nicht verhehlen, nun mit dem dienstältesten Außenminister der Welt in den Clinch zu gehen. Die Höflichkeit, dem Gast das erste Wort zu geben, ist für den Gastgeber bequem. Ich spreche frei nach Notizen, denn die Atmosphäre einer Sondierung kann nicht entstehen, wenn wie bisher Texte verlesen werden, in denen jedes Wort vorher auf die Goldwaage gelegt worden ist. Außerdem entschließe ich mich, das gesamte Konzept sofort auszubreiten; alle schreiben eifrig mit, unsere Botschaftsleute sind nicht weniger gespannt, hören sie es doch auch zum erstenmal. Nachdem ich über eine halbe Stunde gesprochen und Gromyko fast ebenso lang geantwortet hatte, dachte er, das sei es; wie üblich würde die deutsche Seite nach Bonn berichten und neue Weisungen abwarten. Er war ziemlich erstaunt, daß ich sofort auf die Fragen einging, die er kritisch aufgeworfen hatte. Daraus entwickelte sich eine dreistündige Diskussion. Die erste Feuerprobe war bestanden." Vgl. BAHR, Zeit, S. 286 f. 3 Im Rückblick bemerkte Helmut Allardt, daß er Staatssekretär Bahr, Bundeskanzleramt, nach dessen Ankunft in Moskau mehrfach um Einsichtnahme in die Gesprächsinstruktionen gebeten habe. Bahr habe darauf geantwortet, es gebe keine schriftliche Weisung, da "alles mündlich vereinbart" worden sei. Allardt führte dazu aus: "Meine Bemerkung, jetzt sei mir sein und Ehmkes Schweigen begreiflich, als ich Anfang Januar mit ihnen über den Fortgang der Diskussion mit Gromyko hatte sprechen wollen, quittierte er mit dem Hinweis, er und Ehmke seien zu dieser Zeit bereits entschlossen gewesen, den Delegationsführer zu wechseln." Vgl. ALLARDT, Tagebuch, S. 266 f. 4 Zu den sowjetischen Vorschlägen vom März bzw. April 1966 vgl. Dok. 7, Anm. 2. 105 28 30. Januar 1970: Gespräch zwischen Bahr und Gromyko den drei Westmächten gemacht haben. Dabei ist die Frage 53/107 der UNO-Satzung schon aufgeworfen worden. Worum geht es? 1) Es geht um eine politische Vereinbarung SU-BRD. 2) Es geht um eine politische Vereinbarung BRD-Polen, und es geht um die Grenzfrage der Oder-Neiße. Das wissen wir. 3) Es geht um die Aufnahme der Beziehungen zwischen uns und der DDR. Das alles ist in den nächsten Monaten möglich. Das würde die Lage in Europa zum Besseren verändern. In diesem Sinne wollen wir den Status quo verändern. Wir sind gegen einen Status quo der Mißverständnisse, der Feindschaft, des Mißtrauens, der Beziehungslosigkeit und des Propagandakrieges. Die Grenzen liegen da, wo sie sind. Wer Grenzen ändern will, ist verrückt, weil er den Krieg riskiert. Der Status quo ist die Grundlage unserer Sicherheit. Dazu kommen die besonderen Rechte der Vier Mächte für ganz Deutschland. Alles, was jetzt zu tun ist, darf nicht zur Minderung dieser Rechte der Vier Mächte führen, weil diese ihre Rechte behalten wollen. Das steht in Beziehung zur Frage des Verhältnisses DDR-BRD. Diese Beziehungen müssen "besonderer Art" sein. Das ist zum Teil mißverstanden worden. Diese Besonderheit ist eine Realität, z.B. weil die Vier Mächte besondere Rechte und Pflichten in Deutschland haben. Auch gibt es keinen Friedensvertrag, also eine weitere Besonderheit, die in keinem andern Staat Europas anzutreffen ist. Unsere Souveränität ist durch die Rechte der Vier Mächte gemindert. Beide deutsche Staaten gehören zu einer Nation. So steht es in beiden Verfassungen. 5 Auch das ist unvergleichbar mit jedem anderen Staat in Europa. Diesem besonderen Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten muß man Rechnung tragen. Zuerst einmal muß man Beziehungen aufnehmen. Diese gibt es fast noch nicht. Wir können leichter mit Kambodscha als mit Ostberlin sprechen, mit dem wir auch keine Beziehungen haben. 5 Zu den Bestimmungen im Grundgesetz vom 23. Mai 1949 und in der Verfassung der DDR vom 6. April 1968 vgl. Dok. 12, Anm. 13. 6 Am 11. April 1953 unterzeichneten der Oberkommandierende der UNO-Streitkräfte in Korea, Clark, der Oberbefehlshaber der koreanischen Volksarmee, Kim II Sung, und der Befehlshaber der chinesischen Volksfreiwilligen, Peng Teh-huai, ein Abkommen über den Austausch kranker und ver-Fortsetzung Fußnote von Seite 106 wundeter Kriegsgefangener. Ausgetauscht wurden 5100 Nordkoreaner und 700 Chinesen gegen 450 Südkoreaner, 120 Amerikaner und 30 Angehörige anderer Staaten. Vgl. dazu AdG 1953, S. 3948. 7 Zum Gespräch des Botschafters Allardt, Moskau, mit dem sowjetischen Außenminister am 23. Dezember 1969 vgl. AAPD 1969, II, Dok. 411 und Dok. 413. Zu den von Gromyko gestellten Fragen vgl. auch Dok. 5. 107 28 30. Januar 1970: Gespräch zwischen Bahr und Gromyko dein. Ulbricht hat aber gesagt, das mache er erst, nachdem Bundesregierung und Sowjetunion einen Vertrag geschlossen haben. 8 Was hält die sowjetische Regierung von der Zeitfolge? Was kommt wann? c) Nachdem wir große wirtschaftliche Projekte begonnen haben 9 , stellt sich die Frage, ob wir nicht auch einen Handelsvertrag schließen sollen. d) Bei Normalisierung unserer Beziehungen sollten wir den Propagandakrieg einstellen. Wie steht es damit? Zum Schluß Berlin. Die Bundesregierung hat keine Kompetenzen in Berlin. Die Vier Mächte werden darüber verhandeln, nicht wir. Aber wir können darüber sprechen. Entspannung und Normalisierung in Europa muß Berlin mit einschließen. Berlin darf nicht Insel des Kalten Krieges bleiben. Das ist die Hauptsache. Wer darüber spricht, wir oder die Vier Mächte oder die Deutschen selbst, ist nicht so entscheidend. Gromyko schlägt kurze Pause vor. Sitzung wird um 11.25 [Uhr] wieder eröffnet. Gromyko·. Ich begrüße es, daß Herr Bahr gekommen ist. Ich begrüße es, daß die Bundesregierung ernsthaft zu verhandeln gedenkt. Wir gehen davon aus, daß die Bundesregierung seriös an die Probleme herangeht. Wenn das so ist, ist es gut. Wir gehen an diese Fragen mit allem Ernst heran. Wenn wir über diese Fragen uns einig werden und ein Abkommen schließen könnten, würde das unsere Beziehungen und auch die Lage in Europa und nicht nur in Europa verbessern. Ich möchte Ihnen sagen, daß es eine Reihe sehr wichtiger Fragen gibt, die man nicht umgehen kann. Man kann nicht auf halbem Wege stehen bleiben. Wir wollen klar, offen und genau sprechen, damit wir wissen, woran wir sind. Wir haben den Eindruck -er ist vielleicht noch nicht ganz genau -, daß Ihre Regierung glaubt, über einige Fragen nicht so dringlich sprechen zu müssen. Sie gehen an manches aus weiter Ferne heran. Uns fallt auf, daß zwischen dem, was hier gesagt wird und was man sonstwo dazu zu hören bekommt, keine Übereinstimmung besteht. Z.B. haben wir den Eindruck, daß die Bundesregierung glaubt, man könne die Grenzfrage in Europa umgehen, wenn auch nicht vollständig, so doch zum wesentlichen Teil. Wir haben dazu unseren Standpunkt dargelegt. Kurzum: Alles würde erleichtert, wenn die Bundesregierung die reale Lage anerkennen würde, die in Europa entstanden ist.
doi:10.1524/9783486718171.105
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