Religion als Thema der Historienmalerei [chapter]

Thomas Kirchner
2007
Religion als Thema der Historienmalerei Als sich die Mitglieder der Academie Royale de Peinture et de Sculpture im Jahre 1667 zusammensetzten, um auf Geheiß des Ministers Colbert eine Kunsttheorie zu entwickeln, schien die Arbeit nicht schwer. Einerseits hoffte man sich auf Vorarbeiten der Literatur beziehen zu können, andererseits war man sich sicher, daß die Werke der großen Künstler, allen voran Nicolas Poussins, die notwendigen Regeln quasi in gemalter Form liefern würden, die es nur noch
more » ... rauszudestillieren gelte. Jedoch stellten sich bald Probleme, der erhoffte Konsenz bestand nicht, man geriet sogar in zentralen Fragen in Streit, ohne daß dieser endgültig völlig beigelegt werden sollte. Auf der einen Seite stand Charles Le Brun. Er war der Vertraute Colberts und leitete die Institution. Auch wenn er sich künstlerisch bereits seit langem von Nicolas Poussin gelöst hatte, sah er in dessen Werk doch alle Regeln der Kunst befolgt. Und besonders wenn es um komplizierte Fragen wie Narration, Umsetzung eines literarischen Tex tes etc. ging, schienen ihm die Lösungen des nur kurz zuvor verstorbe nen Poussin vorbildlich. Das erste Werk Poussins, dem Le Brun eine Conference widmete, war Les Israelites recueillant la manne dans le desert (Abb. I). 1 Er hielt das Bild in allen Punkten für gelungen, be sonders ausführlich widmete er sich der Darstellung einer zeitlichen Abfolge und der Entschlüsselung eines vielschichtigen narrativen Kon zeptes. An diesen Punkten setzte jedoch auch die Kritik an. Ein zen traler Vorwurf war, Poussin habe sich nicht an die Textvorlage gehal ten. In der Bibel stehe, das Manna sei des Nachts vom Himmel gereg net und am Morgen von den Menschen gefunden worden. Auf dem Bild scheine es hingegen noch vom Himmel zu fallen. Gänzlich unwahr scheinlich sei zudem die Caritas-Romana-Gruppe links im Vorder grund. Dieses Zeichen der aufopfernden Hilfe in höchster Not sei nicht gerechtfertigt, denn bereits in der Nacht zuvor habe es ja Wachteln vom Himmel geregnet, mit denen das Volk Israel seinen ersten Hunger stillte. Schließlich wurde noch die mangelnde Einheit der Zeit hervor gehoben. So wie Poussin das Geschehen gezeigt habe, könne es nicht 1 Charles Le Brun: Les Israßlites recueillant la manne dans le desert. Par Nicolas Poussin, in: Henry Jouin (Hrsg.): Conferences de 1'Academie Royale de Peinture et de Sculpture. Recueillies, annotees et pr&fidees d'une &ude sur les artistes ecrivains, Paris 1883, S. 49 -65.
doi:10.11588/artdok.00000296 fatcat:2m6sxpyq2rfwfiorzi3bvz4kji