Nordsemitisch – Südsemitisch? Zur Geschichte des Alphabets im 2. Jt. v. Chr
Wolfgang Röllig
2012
Es ist unbestritten, daß die Ablösung der Keilschrift und der ägyptischen Schriftsysteme durch eine Konsonantenschrift in der 2. Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr. einen gewaltigen Kulturwandel mit sich brachte, der letztlich mit dem Ende der Bronzezeit und dem Beginn der Frühen Eisenzeit um 1100 v. Chr. seinen Abschluß fand. Von da an wird die Keilschrift in Syrien-Palästina fast vollständig von der Alpha betschrift verdrängt, tritt auch hieroglyphische und hieratische Schrift kaum noch auf,
more »
... r die Administration zuerst, 1 die Literatur bald darauf ganz von dem neuen Medium bestimmt. Haben die Stadtfürsten Syrien-Palästinas, deren Leben und Wirken die besondere Aufmerksamkeit meines hochgeschätzten Kollegen Anson F. Raineys gilt, sich zunächst in ihrer Korrespondenz untereinander und mit den Königen der Großmächte mit Keilschrift beholfen, sich schlecht und recht der akkadischen Sprache bedient, so ändert sich das nun. Zunächst in kurzen Aufschriften auf Pfeilspitzen, 2 bald aber auf öffentlichen Verlautbarungen wie z, B. der MeSa'-Stele 3 oder der jüngst entdeckten Inschrift von Tel 1 Das bezeugen nicht so sehr die wenig zah l reichen Ostraka, sondern vor a l l em die Stempe l siege l , die mit ganz wenigen Ausnahmen Legenden in Konsonantenschrift tragen. Vgl . dazu zuletzt Y. Avishur / M. Hel tzer, Studies on the Royal Administration in Ancient Israel in the Light of Epigraphic Sources, Jerusa l em 1996. Die geringe Zah l von Kei l schrifturkunden des 1. Jt. v. Chr., die es aus dem syrisch-palästinensischen Raum gibt, ist bei der S chreibfreudigkeit assyrischer und babylonischer S chreiber ebenfalls ein Indiz dafür, daß S chrift und S prache gewechselt hatten. 2 Zu diesen Objekten, die in letzter Zeit das besondere Interesse der Forschung fanden und von denen es überraschend viele zu geben scheint (nach der Zählung von Deutsch / Heltzer 43!), s. zuletzt die Zusammenstellungen von R. Deutsch / M. Heltzer, Forty New Ancient West Semitic Inscriptions, Tel Aviv/Jaffa 1994, 11-21; dies., New Epigraphic E v idence from the Biblical Period, Tel Aviv/Jaffa 1995, 11-38. 3 Af/l/181,s. auch S. Timm, Moab zwischen den Mächten. Ägypten und Altes Testament Bd. 17 (1989) 265-302 (mit Bibliographie); letzte deutsche Übersetzung bei H.-P. Müller in: Wolfgang Röllig Dan, 4 schließlich in Briefen wie dem des Adon von Eqron an den Pharao, 5 wird die eigene Sp rache und die so p raktische Konsonantenschrift verwendet. Doch auch diese hat eine Vorgeschichte, die bis ins 2. Jahrtausend zurückreicht. Neue Funde hab en in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, daß die traditionellen Ansichten üb er die Genese der kanaanäischen Schrift gründlich revidiert wurden. Vor allem konnte die Vorgeschichte der sog. phönizischen Schrift kräftig erhellt werden, schien die Entwicklung, wenn auch nicht geradlinig, so doch ziemlich stringent zu verlaufen: von den sinaitischen Inschriften über Zwischenstufen mit Zeugnissen in Lachiä, in Megiddo, Teil el-Hesi und vor allem c Izb et §artah b is zu den frühen Byb los-Inschriften und dem Gezer-Kalender. 6 Zweifel an dieser Geradlinigkeit wurden laut, als ein recht schlecht erhaltenes, schon 1933 von E. Grant in Bet §eme § gefundenes Tontäfelchen sich durch den üb erraschenden und durchaus überzeugenden Vorschlag von A.G. Lundin aus dem Jahre 1987 als frühes Zeugnis für die b is dahin als späte Entwicklung verstandene südsemitische Zeichenfolge in der Form von Keilschriftzeichen erklären ließ. Allerdings war dieser Text wegen seiner Singularität einerseits, seinem schlechten Erhaltungszustand andererseits ein noch recht umstrittenes Dokument, auch wenn M. Dietrich und O-Loretz ihm einen zentralen Platz in ihrer Monographie üb er die frühen Keilalphab ete einräumten. 7 Nun kommt üb erraschende Bestätigung aus Ugarit selb st. O. Kaiser (Hgb.), Texte aus der Umwelt des Alten Testaments Bd.l (1982/5) 646-650. Sjetzt auch D. Pardee, Moabite Stone, in: The Oxford Encyclopedia of Archaeology in the Near East (1997) Vol.IV 439-441. 4 Zu der bereits sehr ausgedehnten Diskussion um diesen wichtigen Neufund s. zuletzt A-Biran / J. Naveh, The Tel Dan Inscription: A New Fragment, IEJ45 (1995) 1 -18; J. Kamlah, Z AH 8 (1995) 317f.; W. Schniedewind, Tel Dan Stela: New L ight on Aramaic and Jehu's Revolt, BASOR 302 (1996) 75-90. 5 A. Dupont-Sommer, Semitica 1 (1948) 43-68 = KAI266 = TSSI 1,21; zuletzt B. Porten/A. Yardeni, TADAE 1 (1986) Al.l. 6 Es war vor allem F.M. Cross, der in immer wieder neuen Anläufen die relevanten Denkmäler kritisch besprach und ihre Schrift einzuordnen versuchte, so z.B. in dem Grundsatzartikel "Early Alphabetic Scripts" in Symposia Celebrating the Seventy Fifth Anniversary of the Founding of the American Schools of Oriental Research (1900-1975), Cambridge (Mass.) 1979, 97-123. Vgl. die sehr gute und kritische Zusammenfassung der Ergebnisse bei B. Sass, The Genesis of the Alphabet and its Development in the Second Millenium B.C., Ägypten und Altes Testament Bd. 13, Wiesbaden 1988. Vgl. auch W. Röllig, Über die Anfänge unseres Alphabets, Das Altertum 31 (1985) 83-91; ders., L'alphabet, in: V. Krings, La Civilisationphenicienneelpunique, Handbuch d. Orientalistik 1/20(1995) 193-214. 7 M. Dietrich / O . Loretz, Die Keilalphabete. Die phönizisch-kanaanäischen und altarabischen Alphabete in Ugarit. Abhandlungen zur Literatur Alt-Syrien-Palästinas Bd. I, Münster 1988, vgl. auch dies., Die Alphabettafel aus Bet Semeä und die ursprüngliche
doi:10.11588/propylaeumdok.00001300
fatcat:qccvguhxvzdixensj46mhr4njq