Einiges vom Verlauf der Gefühlsbahnen im centralen Nervensysteme
L. Edinger
1890
Deutsche Medizinische Wochenschrift
in Frankfurt a. i'dlain. Die folgende Darstellung ist -iii etwas erweiterter Formein Autoreferat über einen am 1. April 1889 im ärztlichen Verein zu Frankfurt a. M. gehaltenen Vortrag. Sie bezweckt, die Grundzüge der vom Verfasser im Anatomischen Auzeiger 1887 und 1889 veröffentlichten Aufsätze einem grösseren, nicht rein anatomischen Publikum vorzuführen. Deshalb ist manches dort angegebene weggelassen, anderes ausführlicher, als es dort geschah, behandelt worden. Neue inzwischen dem Verfasser
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... bekannt gewordene Beweisgründe für die vorgetragene Auffassung sind hier und da aufgenommen. Unsere Kenntnisse 'vom Verlaufe der motorischen Bahn im Rückenmarke und Gehirn sind im grossen und ganzen jetzt soweit gediehen, dass wir uns eine Vorstellung von den Wegen machen können, durch welche die Bewegungsimpulse von höheren Centren aus in die vorderen Wurzeln gelangen. Wir wissen, dass mit den Zellen der Vorderhörner, aus welchen die motorischen Wurzelfasern stammen, eine Bahn in Beziehung tritt, welche von der gekreuzten Grosshirnhälfte, zum Theil wohl auch von der gleichseitigen, dorthin hinabsteigt. Ob es sich dabei um eine wirkliche Verbindung, oder nur, wie es neuere Untersuchungen wahrscheinlich machen, um ein einfaches Aneinanderlegen feiner Verzweigungen der Zellausläufer mind der centralen Fasern handelt, das ist noch unbekannt. Die verbesserte Technik, mit welcher uns die letzten zehn Jahre beschenkt haben, der gesteigerte Eifer, mit dem man sich von allen Seiten diesbezüglichen Untersuchungen widmet, werden sicher in nicht allzulanger Zeit Klarheit über diese Verhilitnisse schaffen. Noch ganz unbekannt ist, ob und, in welcher Weise Faserzüge aus den Ganglien des }Jirnstammes sich mit den Kernen der motorischen Nerven verbinden. Die Untersuchungen am normalen menschlichen Rückenmarke, die Erfahrungen der Pathologie und der Physiologie, alle sprechen für die Richtigkeit der Auffassung, welche wir seit den Untersuchungen von Türck, Charcot, Flechsig und anderen uns vom -motorischen innervatiorisweg gebildet haben. Anders steht es mit unseren Kenntnissen vorn centralen Verlauf der Gefühisbahn. Schon das periphere Stück der Gefühlsbahn, der Nerv und sein Verhältuiss zum Spinalganglion, hat lange Zeit dem Verständuiss Schwierigkeit geboten. Durch die Versuche, künstliche Degenerationen herzustellen, ganz besonders aber durch die Arbeiten von His ist in den letzten Jahren ein Theil dieser Schwierigkeiten beseitigt worden. His hat gezeigt, dass zwar die vorderen Wurzeln als direkte Achsencylinderauslänfer der Ganglienzellen des Vorderhorns anzusehen seien, dass aber die hinteren Wurzeln etwas anderes darstellen. Durch diese Untersuchungen ist es endlich festgestellt, was man nach den Ergebnissen der Degenerationsversuche schon lange vermuthet hatte, dass nämlich die eigentlichen Ursprungskerne der sensorischen Nervenfasern oder doch ihrer Mehrzahl gar nicht im Centralorgane liegen, sondern im Spinalganglion sich befinden. In den Zellen dieses Ganglions endigen zunächst die meisten Fasern der sensiblen Nerven. Aus den Zellen entspringt das, was man bisher die Wurzel nannte. Diese hintere Wurzel, welche dann erst wieder im Rückenmarke mit neuen Zellen, denen der Hinterhörner, in irgendwelche Beziehungen tritt, kann nicht morphologisch und physiologisch der vorderen Wurzel, welche direkt aus ihren Kernen, den Vorderhornzellen entspringt, gleichgesetzt werden. Sie enthält schon centrale Fasern, jene nur periphere. Die Degenerationsversuche (Joseph Sechszehnter Jahrgang. Verlag -von Georg Ttiieme, Lelpzig Berlin. u. a.) haben gezeigt, dass es auhh Fasern giebt, welche nicht im Spinalganglion endigen, sondern dasselbe durchziehen. Es ist möglich und wahrscheinlich, dass diese Fasern im Rückenmark in analoge dort liegende Zellen, wohl diejenigen der Clarke'schen Säule, gelangen. Vor Jahren hat Freud nachgewiesen, dass bei Petromyzon die Spinaganglienzellen, in denen die Fasern der Wurzel endigen, nicht alle ausserhalb des Markes liegen, vielmehr in zerstreuter Anordnung sich bis in dessen Hinterhorn erstrecken. So bestände die hintere Wurzel auf ihrem Wege vom Spinalganglion zum Rückenmark aus Fasern, welche schon einen Kern passirt haben, Fasern, welche man also als centrale schon auffassen muss, und aus solchen, welche im Rückenmark erst in ihren ersten Kern eintreten. Wenn die hintere Wurzel in das Rückenmark eintritt, sondern sich die in ihr enthaltenen Fasern und ziehen nach sehr verschiedenen Richtungen weiter. Die Ansichten der Autoren, wie sie sich weiter verhalten, gehen ausserordentlich auseinander. In einer ausgezeichneten Arbeit hat neuerdings von Lenhossék uns gezeigt, wie sich die einzelnen Bestandtheile der Wurzel zunächst ausbreiten. Er hat das am Menschen und an verschiedenen Säugern studirt. Ausserdem haben wir in einer Arbeit von Waldeyer über das Rückenmark des Gorilla und des Menschen neuerdings Aufschluss über diese -Verhältnisse bei höheren erwachsenen Säugern bekommen. Wer sich über die verschiedenen Ansichten, zu welchen die zahlreichen Autoren, welche sich mit der Frage nach dem Verlauf der hinteren Wurzel beschäftigt haben, gekommen sind, orientiren will, dem seien zunächst diese beiden Arbeiten zum Studium empfohlen. In den letzten Jahren haben namentlich Schiefferdecker, Krause, Schwalbe, Lissauer, Bechterew, Kahler, Takacz dem Gegenstande ihre Aufmerksamkeit gewidmet. Es soll an dieser Stelle nicht genauer auf die Resultate, welche erhalten wurden, eingegangen werden, das würde ohne reichliche Abbildungen nicht sich klar darstellen lassen. Wir können nur als allgemeine Er-
doi:10.1055/s-0029-1207205
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