Rezensionen

1913 Kant-Studien  
Rezensionen· "Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften," in Verbindung mit Windelband herausgegeben von Arnold Enge, Erster Band "Logik 44 . Verlag von Mohr, Tübingen 1912. Wenn es auch absolute Voraussetzungen des Denkens und Erkennens gibt, die Entfaltung derselben und ihre Zusammenfassung zu einem geschlossenen System ist den Wandlungen und Veränderungen unterworfen, die alles historische Geschehen beherrschen. Daher kommt es, dass auch die Logik, die ihrem Wesen und Gegenstande nach
more » ... ie festeste und beharrlichste aller Disziplinen sein sollte, ihre Geschichte hat. Namentlich seitdem Kant der formalen Logik die transzendentale, erkenntnistheoretische angliederte und zwischen beiden einen allerdings fragwürdigen Zusammenhang stiftete, ist das Problem der Aufgabe und des Machtbereiches der Logik zur Vorherrschaft gelangt. Sind es dieselben Formen und Gesetze, die dem Denken und dem Erkennen zugrundeliegen? Enthält die Einheit des Bewusstseins, welche sich in den obersten logischen Grundsätzen manifestiert, in sich zugleich den Massstab für die Einheit und den Zusammenhang des Wirklichen? Es gibt Philosophen, die das Auseinanderfallen beider Sphären überhaupt leugnen, die die selbständige Existenz einer formalen Logik neben der erkenntnistheoretischen zu einem fälschlichen Produkt der Abstraktion stempeln wollen. Alles Denken ist nach ihnen Denken von etwag Realem, seine Gesetze sind demnach zugleich solche, in denen die Gesetzmässigkeit des Seins erfasst wird. In einer enzyklopädischen Behandlung des Gegenstandes, wie sie in der "Logik", dem ersten Bande der von Buge in Verbindung mit Windelband herausgegebenen Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften vorliegt (Tübingen, Verlag von Mohr 1912), musste selbstverständlich auch diese Prinzipienfrage Erörterung finden, umsomehr als das Unternehmen seinem Wesen nach vor allem die Grundlinien der einzelnen Problemsphären ziehen muss. Zweck und Absicht hat der Herausgeber präzise in der Einleitung formuliert. Die Enzyklopädie dient vornehmlich dem Zwecke der systematischen Einheit. Um der damit so häufig verknüpften Einseitigkeit vorzubeugen, ist hier die Arbeit nicht in die Hand eines Einzelnen gelegt, sondern es kommen verschiedene Denker als Vertreter verschiedener Richtungen zu Wort. Ausser dem vorliegenden Bande sollen noch Bände über Ethik, Ästhetik, Geschichtsphilosophie und Religionsphilosophie folgen. Das Gebiet der Logik wird von sechs Denkern bearbeitet, die verschiedenen Nationen angehören; so wird auch dem Prinzip kultureller und nationaler Differenzierung Rechnung getragen. Als Repräsentant der deutschen Philosophie erscheint Windelband. Er teilt den Gegenstand in formale Logik und Methodologie ein. Was die obersten Denkgesetze angeht, die in jener zur Darstellung kommen, so erschöpfen sie sich nicht darin, Normen für ein forschendes Bewusstsein zu sein, sie haben vielmehr auch abgesehen von dieser Anwendung auf die psychologische Sphäre eine selbständige, autonome Bedeutung: man muss ihre Geltung an sich von ihrer Geltung für uns unterscheiden. In dieser Anerkennung der reinen Gegenständlichkeit des Logischen begegnen Brought to you by | University of California Authenticated Download Date | 6/9/15 7:02 AM 272 Rezensionen (Buge). wir einem wichtigen Motiv der modernen Erkenntnislehre. Dementsprechend werden die obersten Denkgesetze in einer vom hergebrachten Schematismus abweichenden Weise bestimmt. Der Satz vom Widerspruch besagt, dass Bejahung und Verneinung derselben Beziehung nicht beide gelten können. Während nicht selten seelische Motive des Bejahens neben solchen des Verneinens bestehen, fordert der logische Sachverhalt eine Entscheidung nach einer der beiden Seiten. Für den Satz des ausgeschlossenen Dntten ist es wiederum charakteristisch, dass er am deutlichsten die Grenze zwischen dem logischen Wert und der psychologischen Anwendung zieht, da eine Norm aus ihm überhaupt nicht abgeleitet werden kann. Denn wenn er feststellt, dass Bejahung und Verneinung desselben nicht zugleich falsch sein können, so ist das empirische Bewusstsein dennoch nicht immer in der Lage, sich für die Bejahung oder die Verneinung zu entscheiden. Hier tritt ein neues Denkgesetz in Funktion, das des zureichenden Grundes, welches gebietet, dass jede Behauptung, positive oder negative, nicht willkürlich für sich stehe, sondern ihre sachliche Begründung habe. Objektiv genommen, lässt sich dies Gesetz als das der Konsequenz bezeichnen. In der Kategorienlehre, die aus den Relationen des Urteils schöpft, greift Windelband auf seine Unterscheidung der reflektiven von den konstitutiven Kategorien zurück. Konstitutiv sind die Kategorien, die als wirkliche Verhältnisse zwischen den Gegenständen gedacht werden; reflexiv jene, die, wenngleich durch die Eigenart der Gegenstände bestimmt, dennoch erst im Bewusstsein und für das Bewusstsem bestehen. Das reflektierende Bewusstsein ist vergleichend und unterscheidend; aus ihm gehen die mathematischen, diskursiven Kategorien hervor. Die konstitutiven Kategorien umschreiben das von Kant als transzendentale Logik in Anspruch genommene Gebiet, das durch Zeit und Baum in unmittelbare Beziehung zur gegenständlichen Realität tritt. In der Methodologie behandelt Windelband das Verhältnis von Induktion und Deduktion, das der ideographischen, historischen und der nomothetischen, naturgesetzlichen Forschungsgebiete. Jede Forschung· macht sachliche Voraussetzungen, die bereits bei der Feststellung der Tatsachen mitwirkend, dennoch erst bei den Tatsachen selbst ihre Probe und Legitimierung finden. So ist die Hypothese als singulare oder generelle Hypothese der wichtigste Teil der Methodologie. Den letzten Teil bildet die Erkenntnistheorie, in der die Beziehung des Seins zum Gelten erörtert wird und zwar als eine fundamentale, nicht weiter auflösbare Relation von Form und. Inhalt. Theoretische Argumente für eine Metaphysik als Lehre vom Übersein lassen sich nach Windelband nicht erbringen: die Begrenztheit menschlichen Erkennens weist nicht auf ein Transzendentes hin, sondern bloss darauf, dass der Gegenstand der Erkenntnis eine vom Geiste vorgenommene Auslese aus einer umfassenderen Totalität ist. Das Verhältnis des Erkennens zum Sein ist nicht das (der Erscheinung zum Dinj* an sich, sondern das des Teils zum Ganzen. Die absolute Wirklichkeit ist nicht qualitativ anders als das gewusste Sein; sie ist das einheitliche, lebendige Ganze, von dem ;wir auch als erkennende Subjekte erfasst werden, ohne es erschöpfen zu .Können. Als zweiter Denker kommt Josiah Royce zu Worte: Er bemüht sich um den Ausbau einer allgemeinen Ordnungslehre, einer Lehre von den Formen eines jeden geordneten Gebietes realer oder idealer Gegenstände. Hier unterscheidet Royce Relationen und Klassen. Beide Begriffe setzen einander gegenseitig voraus. Diese Einteilung gibt dem Verfasser auch Gelegenheit, sein Verhältnis zum Pragmatismus zu entwickeln. Er vertritt denselben in einer kritisch geläuterten Weise, die seine Positionen von den logischen Widersprüchen reinigt, welche ihnen sonst anhaften. Die Bildung von Klassen und Relationen, mithin der intellektuellen Grundfunktionen, können als Schöpfungen des Willens betrachtet werden, dessen Aktivität sich in ihnen entfaltet und darstellt Der Standpunkt von Royce lässt sich sonach als eine Synthese des Rationalismus und des Voluntarismus charakterisieren in ähnlicher Weise wie wir eine solche bei Fichte Brought to you by |
doi:10.1515/kant.1913.18.1-3.271 fatcat:42ha2eq3bjeu5lxzn5g6s7ndei