Grundzüge der tscheremissischen Sprachgeschicte I [book]

Gábor Bereczki, Júlia Kecskés
1994 Studia Uralo-altaica   unpublished
AUFLÖSUNG DER DIALEKT ABKÜRZUNGEN VON Ö. BEKE 150 ÜBRIGE ABKÜRZUNGEN 153 J VORWORT r . Diese Abhandlung ist der erste Teil einer Publikationsreihe über die Gesamtheit der tscheremissischen Sprachgeschichte. Grundgerüst der vorliegenden Arbeit ist die Geschichte der Herausbildung des tscheremissischen Vokal-und Konsonantensystems. Daneben wird auch die Ethnogenese der Tscheremissen, basierend auf linguistischen Fakten, behandelt. Dem folgt ein Uberblick über die tscheremissischen Dialekte, wobei
more » ... zahlreiche neue Gesichtspunkte berücksichtigt werden, und mehrfach die in den vorgehenden Kapiteln erstellte Skizze der Geschichte der tscheremissischen Sprache vervollständigt wird. ,v -Diverse Einzelfragen des historischen Konsonantismus des Tscheremissischen wurden bisher schon in zahlreichen Artikeln angeschnitten, eingehender befasst sich mit diesem Thema aber nur die historische Lautlehre des Tscheremissischen von L. P. Gruzov (s. Gruzov 1969). Wegen bedeutender Differenzen hinsichtlich der Ausarbeitung und der dabei erreichten Ergebnissen wird die Aktualität der vorliegenden Arbeit wohl nicht bedeutend geschmälert. Der überwiegende Teil dieser Abhandlung befasst sich mit der Geschichte des tscheremissischen Vokalismus. Dieses Thema Itat im Laiife der letzten vier Jahrzehnte viel Staub aufgewirbelt. Meine Ergebnisse weichen bedeutend von den Residtaten ab, die von W. Steinitz und E. Itkonen erreicht wurden. Das Tscheremissische spricht gegen ein PFU-Vokalsystem bestehend aus vollen und reduzierten Vokalen (wie von W. Steinitz rekonstruiert wurde), aber auch das Systém von E. Itkonen, basierend auf der phonologischen Opposition von kurzen und langen Vokalen, wird nicht bestätigt. Hier muss aber bemerkt werden, dass diese beiden Forscher zu bis heute gültigen Ergebnissen gekommen sind, welche die Uralistik bedeutend bereicherten. Sollte ich hier auch oft zu abweichenden Resultaten gekommen sein, habe ich den erwähnten Forschern doch viel zu verdanken. Die Forschungsmethode, nach der hier vorgegangen wurde, stimmt in mehreren wichtigen Punkten mit der E. Ikonens überein, es wird jedoch -verglichen mit E. Itkonen -das Tscheremissische verstärkt als Teil des Wolga-Kama-Areals untersucht. Die Untersuchungen erstrecken sich auch auf die Geschichte des Vokalismus der nichtersten Silben des Tscheremissischen. Hier standen nur äussert wenige Voruntersuchungen zur Verfügung. Das Belegmaterial enthält einerseits alle tscheremissischen Wörter mit Entsprechungen in weningstens einer der verwandten Sprachen. Gesondert werden jene Wörter behandelt, die zwar dem oben erwähnten Kriterium entsprechen, wegen lautlicher bzw. realienkundlicher Kriterien aber getrennt entlehnte Wörter aus dem Iranischen oder eventuell aus anderen Sprachen sein müssen. Eine besondere Gruppe bilden auch jene tscheremissischen Wörter, die aufgrund eines oder mehrerer Lautkriterien hier für permische Lehnwörter gehalten werden. Ich bedanke mich hier bei meinen Freunden Alho Alhoniemi, Károly Rédei und András Róna-Tas für ihre wertvollen Bemerkungen und Berichtigungen bezüglich dieser Arbeit. i DIE STELLUNG DES TSCHEREMISSISCHEN. 5 I. DIE STELLUNG DES TSCHEREMISSISCHEN INNERHALB DER FINNISCH-UGRISCHEN SPRACHFAMILIE Nach der allgemeinen Auffassung gehört das Tscheremissische zusammen mit dem Mordwinischen in die wolgaische Gruppe des finnisch-wolgaischen Zweiges der finnisch-ugrischen Sprachfamilie. Bezüglich des Verhältnisses Tscheremissisch-Mordwinisch kamen die Forscher im Laufe der Zeit zu äusserst unterschiedlichen Auffassungen. Diese sollen hier skizziert werden. Nach Setälä trennte sich nach Loslösung des Ostsee-finnischen vom Wolgaischen auch das Tscheremissische vom Mordwinischen. Aufgrund der bisherigen Forschungsergebnisse -schreibt Setälä -kann von einer gemeinsamen wolgaischen Epoche nicht die Rede sein. Die Tseheremissen blieben anscheinend auch weiterhin in Kontakt mit den Permiem. da das Tscheremissische in einem gewissen Sinn einen Übergang zwischen Mordwinisch und den permischen Sprachen darstellt (E. N. Setälä 1926, 182). Die ostseefinnisch-wolgaische Einheit löste sich in den letzten Jahrhunderten v. Chr. auf (a.a.O. 154). In mehreren Punkten entspricht die Meinung Setäläs den ein Jahrzehnt später veröffentlichten Auffassungen Zsirais: Der Grossteil der baltischen Lehnwörter der ostsee-finnischen Sprachen wurde nicht mehr weiter ins Mordwinische übernommen, noch weniger ins Tscheremissische, d.h. zur Zeit der Intensivierung der baltischen Kontakte war die Verbindung zwischen Ostseefinnisch und Mordwinisch-Tscheremissisch schon unterbrochen, die ostseefinnisch-wolgaische Einheit hörte auf zu bestehen. Diese Lostrennung fand laut Aussage der Phonetik der baltischen Lehnwörter im 1-2. Jhdt. v. Chr. statt (Zsirai 1937, 237). Über die Auflösung der wolgaischen Gruppe ist Zsirai folgender Auffassung: Die Aufspaltung der wolgaischen Gruppe, d.h. die Trennung der Tseheremissen von den Mordwinen war um das 8. Jhdt. schon vollständig abgeschlossen, weil der bulgarisch-türkische Einfluss diese Sprachen schon getrennt erreichte. 8 BERECZKI GÁBOR sumbä 'Stössel des Butterfasses'; 11. tscher. UJ tosto, K tostä 'alt, betagt' mord. (ErzRSl.) E tasto 'alt, altertümlich', (Juhász-Erdélyi) M tastä 'alt, schäbig'; 12. tscher. UP towalem 'zersausén, durchstöbern' ~ mord. (ErzRSl.) E tapams 'zersausen', (Juhász-Erdélyi) M taparams 'durcheinanderbringen, verwickeln'; 13. tscher. P wüSem, U J K üőein 'säen, bebauen' ~ mord. (Paas.) E videms, M vidams id. Ausser den obigen Wörtern muss noch folgende tscher.-mord Parallele angeführt werden: tscher. CK C jotke, CÜ d'okte, JT jokte, V jakte, JO jatke, K jakte 'bis' ~ mord. (Paas.) E jutko, M jotké 'Zwischenraum; Zwischenzeit'; E jutkso, M jotksa 'zwischen, unter (wo?)' usw. D. Glieno (NvK 78: 46) hält diese tscheremissischen und mordwinischen Angaben für zusammengehörig. Die Zusammenstellung ist aus semantischen Gründen fraglich. Noch dazu ist dem Anschein nach im tscheremissischen Wort die Lautverbindung kt die ältere, ursprüngliche. Das Suffix -te kommt auch in anderen Postpositionen vor; z. B. in JO K wokte 'neben, längs'. Bei den Formen CK C jotke, JO jatke trat Metathese ein, und so wird die Endung -ke vom Sprachgefühl als Lativsuffix aufgefasst. Wenn sie aber wirklich ein Lativsuffix wäre, dann müsste die Form JO jatke eigentlich jatkä lauten. Dieselbe Varianz der Endungen ist auch in den tscheremissischen Postpositionen P BJ BJp. tä-marte, B tä-marten, M ti-marte(n), MK tiri-marken, UP USj. tiri-marten, UJ tär-, marten, JT ti-marte(n), CÜ tä-marte, tä-marke, C tiSe marke, t. matke 'bis hierher' zu bemerken, die Gheno (a.a.O 56) zu mord. (Paas.) E marto, maro, mar'tä 'mit, und' stellt. Die mordwinische Postposition leitet sich von (Paas.) M mar 'Haufe; Grabhügel, Kurgan' her, dieses Wort hat keine Entsprechung im Tscheremissischen. Die Herausbildung einer Postposition mit instrumentaler oder komitativer Funktion aus einem solchen Grundwort ist leicht verständlich, die terminative Funktion im Tscheremissischen jedoch nicht. Es konnten also insgesamt nur 13 Wörter gefunden werden, die ausschliesslich nur im Tscheremissischen und Mordwinischen vorkommen. Da der südwestliche Flügel der Tscheremissen bis zum 13. Jhdt. mit den Mordwinen in unmittelbarem Kontakt stand (Archipov, 1967, 46), kann auch die Möglichkeit einer direkten Entlehnung nicht ausgeschlossen werden. Und wenn wir bedenken, dass es sogar bei zwei derart weit verwandten Sprachen wie Mordwinisch und Ungarisch 5-6 Wörter gibt, die nur in diesen Sprachen Entsprechungen haben, in den übrigen verwandten Sprachen jedoch nicht, dann sind 13 Wörter auf jeden Fall zu wenig, um eine tscheremissisch-mordwinische (d.h. wolgaische) Grundsprache annehmen zu können. Im Bereich der Phonologie können keine derartigen Merkmale aufgezeigt werden, die auf gemeinsame Lautentwicklungen verweisen würden. Bei etwaigen lautlichen Parallelen handelt es sich um Fälle, die im finnisch-ugrischen Sprachgebiet auch anderswo vorkommen. So findet sich j als Entsprechung für PU *k im Wortinlaut zwar sowohl im Tscheremissischen als auch Mordwinischen, darüberhinaus aber auch im Syrjänischen, Wotjakischen und im Wogulischen. DIE STELLUNG DES TSCHEREMISSISCHEN. 9 Es gibt im Mordwinischen'resp. Tscheremissischen auch keine solchen morphologischen Übereinstimmungen, die nur Merkmal gerade dieser beiden Sprachen wären. Wir finden lediglich zwei beschränkt verwendete tscheremissische Kasussuffixe, deren formale Gestalt grosse Ähnlichkeit mit gewissen röordwinischen Kasussuffixen'aufweisen. Eines dieser Kasussuffixe (nach Auffassung der sowjetischen Uralistik handelt es sich um ein Ableitungssuffix)ist tscher. -sek, -Sek, man könnte es von Fall zu Fall als Temporal auffassen. Als Beispiele für dieses Suffix können folgende Angaben zitiert werden: wiesen-tscher. äukertsek 'seit eh und jeh; teqgeisek 'seit gestern'; osttscher. ümä&ek 'seit vorigem Jahr'. ' $ r " I. S. Galkin stellte als erster' dieses in beschränkter Form vorkommende Kasussuffix zum mordwinischen Komitativsuffix E -sek, -cek, M -cak (Galkin 1964, 36-37), und ihmzufolge vertritt auch B. A. Serebrennikov in seiner historischen Morphologie des, -' Mordwinischen diese Ansicht (Serebrennikov 1967, 32-33). Zur Illustration der Funktion'-;, dieses mordwinischen Suffixes seien folgende Beispiele angeführt: E jalgacek 'gepaart, paarweise (eig. mit dem Paar)', laj/ksek 'aufeinander (eig. mit der Oberfläche)'. Sowohl für das Tscheremissische als auch das Mordwinische muss ursprüngliches *-cVk angesetzt werden, der Zusammenstellung der beiden Formen steht lautlich also nichts im Wege. Die Abweichungen in der Funktion sind jedoch schon bedeutend, und eine eingehendere Untersuchung überzeugt uns davon, dass wir es hier mit einer zufälligen morphologischen Übereinstimmung zu tun haben. Es wurde schon von Odön Beke festgestellt (CserNyt. 255), dass tscher. -sek, -Sek ein zusammengesetztes Suffix ist, dessen erste Komponente das tscher. Adjektivsuffix -se, -so, -so, -Sa, -Sa darstellt. Diese Deutung wurde auch von Galkin akzeptiert (s.a.a.O.). Beide Forscher stimmen sogar darin überein, dass in der bergtscheremissischen Variante -sen (bzw. in der Form -sen, die selten auch in den Wiesendialekten vorkommt) des in Frage stehenden tscheremissischen Suffixes ebenfalls dieses Adjektivsuffix erscheint. Diese Morphemvarianten mit identischer Funktion verweisen darauf, dass wir es hier mit Suffixen zu tun haben, die im Sonderleben des Tscheremissischen entstanden sind. Galkin und in der Folge auch Serebrennikov halten das Element k der mordwinischen bzw. tscheremissischen Endung für ein Komitativsuffix. Für das Tscheremissische wäre das möglich, es gibt ja ein -ke, -7e Komitativsuffix. In den Varianten -sen, -äen kann das n aber nur vom finnisch-ugrischen Lativ -*ri herführen, demnach könnte so auch das k als Fortsetzung des finnisch-ugrischen Lativ "k betrachtet werden. Im Mordwinischen konnte aber bischer kein Komitativsuffix k nachgewiesen werden, so dass diese Annahme verworfen werden muss. Fortsetzung des finnisch-ugrischen Lativ, *k ist im Mordwinischen in Position nach Vokal -va, auch das ist also unwahrscheinlich, und auch lautlich ist eine Entwickung des k in -sek, -cek aus diesem Kasussuffix kaum möglich. Wahrscheinlicher ist vielmehr, dass es sich um ein Pluralsuffix k handelt, das wäre bei einem Komitativ mit soziativer Bedeutung leicht vorstellbar (vgl. OMAD 5: 32). Das mordwinische Komitativsuffix -cek, -sek gehört übrigens zum finnischen Prolativsuffix -tse, -tsi und zu den anderen hierhergehörenden Entsprechungen aus den verwandten Sprachen (s. FUF 19: 164). BERECZKI GÁBOR Das andere tscheremissische Suffix drückt einen numeralen Adverbial aus. z. B. koysriek 'alle beide' (kok 'zwei), daneben kommt es aber auch in essivischer Funktion vor, z. B. iziriek 'als Kleiner' (izi 'klein'). Nach Beke (CserNyt. 224; 280) ist das tscheremissische Suffix eine Zusammensetzung aus dem Lokativ *n und der Verstärkungspartikel -ok. Galkin (a.a.O.) identifiziert das n mit dem Instruktivsuffix n. Das entspricht wohl auch der Sachlage, denn auch das Mordwinische und sogar die finnischen Formen des Typs kahden 'zu zweit' sprechen dafür, dass es sich hier im Wesentlichen um eine finnisch-wolgaische Erscheinung handelt. Das Element k erscheint in den tscheremissischen Formen nicht immer. Wird diesem Suffix ein Possessivsuffix angefügt, dann fallt das k aus, z. B. K mänmän koyärinan 'uns beiden' (s. Beke, CserNyt. 280), was darauf zu verweisen scheint, dass es sich um ein relativ spät entstandenes Suffix handelt. Das k ist auf keinen Fall eine Verstärkungspartikel -wie ja von Beke angenommen wurde -lautlich liesse es sich am einfachsten aus Lativ *k erklären, wegen der Funktion des Suffixes ist das aber nicht klar. Im Mordwinischen liegt die Annahme eines Pluralsuffixes k ebenfalls auf der Hand. Auch Bubrich hält für wahrscheinlich, dass das k beim Komitativsuffix -nek auf Wirkung solcher personalsuffigierter Formen wie E kavonek 'wir.beide' (Bubrich 1953, 206) erschien. Und hier ist das k zweifellos ein Pluralsuffix. Trotz der formalen Ähnlichkeit können die hier behandelten tscheremissischen Suffixe wohl kaum aus der postulierten wolgaischen Grundsprache abgeleitet werden. Auf vergleichbar ähnliche Weise wird sowohl im Tscheremissischen als auch im Mordwinischen der Infinitiv gebildet., z.B. tscheremissische kondas 'bringen'; mord. E kandoms, M kandäms id. Tscheremissische s wie auch mord. s sind Fortsetzung des finnisch-wolgaischen Lativsuffixes 's. Ein Lativsuffix im Infinitiv ist eine allgemeine Erscheinung in den finnisch-ugrischen Sprachen, und auch darüberhinaus, so dass diese Parallelerscheinung nicht als Beweis für eine wolgaische Grundsprache gelten kann. Auf dem Gebiet der Morphologie konnte also keine einzige derartige Erscheinung gefunden werden, die als Beweis für eine von den Vorfahren der Tscheremissen und Mordwinen gesprochene wolgaische Grundsprache dienen könnte. Während es äusserst wenige Merkmale gibt, die ausschliesslich im Tscheremissischen und Mordwinischen vorkommen, zeigt das Mordwinische in allen Bereichen zahlreiche Übereinstimmungen mit den ostseefinnischen Sprachen. Das SKES führt 110 Wörter an, die über das Mordwinische hinaus keine etymologische Entsprechung haben. Das ist mehr als das Sechsfache der ausschliesslich tscheremissisch-mordwinische Übereinstimmungen. Darüberhinaus kann eine ganze Reihe solcher morphologischer Übereinstimmungen zwischen dem Mordwinischen und den ostseefinnischen Sprachen gefunden werden, für die es im Tscheremissischen und der weiter verwandten Sprachen keine Parallelen gibt. So z.B. folgende Kasussuffixe: mord. E -sto, -ste, M -stä Elativ (vgl. fi. -sta, -stä), mord. E M -ks Translativ (vgl. fi. -ksi); mord. E -ska Komparativ (vgl. fi.hka, -hkä, -hko, -hkö und weps. -hk; s. Ariste 1953, 303). DIE STELLUNG DES TSCHEREMISSISCHEN. 11 Hier muss noch der mord. Ablativ erwähnt werden, E -de, -do; M des -da (der zwar eine Entsprechung im Tscheremissischen hat, obgleich nicht als selbständiges Suffix), der auch als Partitiv vorkommt, z. B. E Cajde simeme 'Tee (eig. vom Tee) trinken'. Auch diese Erscheinung bindet das Mordwinische enger an die ostseefinnischen Sprachen. Mord. E -do, M' -da ist ein Verbaladverbsuffix, z. B. E. ozado, M ozadä 'sitzend', gleichen Ursprungs sind die Endungen in wepsisch istud 'sitzend', seizud 'stehend', sowie estnisch istu (< "istuöa) 'sitzend', seisu (< "seisoöa) 'stehend' (Ariste 1953, 305). Der Grossteil der mordwinischen Postpositionen regiert den Genitiv, genauso wie zahlreiche Postpositionen der ostseefinnischen Sprachen; im Tscheremissischen regieren die Postpositionen in der Regel hingegen den Nominativ, es erscheinen lediglich einige Ausnahmsfälle, die Resultat türkischen Einflusses sind. Diese Aufzählung könnte noch mit weiteren, weniger wichtigen Übereinstimmungen ergänzt werden. Für Tscheremissisch und Ostseefinnisch können hingegen keine derartigen Übereinstimmungen in Nominal-bzw. Verbalflexion usw. gefunden werden, die ausschliesslich in diesen Sprachen vorkämen. Diese zahlreichen Übereinstimmungen zwischen Mordwinisch und den ostseefinnischen Sprachen sind nur unter der Annahme zu erklären, dass die Vorfahren der Mordwinen nach der Trennung von den Vorfahren der Tscheremissen noch eine geraume Zeit mit den Vorfahren der Ostseefinnen zusammenlebten. Das Tscheremissische ist zweifellos eine finnisch-wolgaische Sprache, davon zeugen zahlreiche Übereinstimmungen in Lexikon und Morphologie, und innerhalb des Finnisch-Wolgaischen konnten die Vorfahren der Tscheremissen und Mordwinen in engem Kontakt zueinander gestanden sein, auf die Existenz einer wolgaischen Grundsprache kann aber aufgrund der gemeinsamen sprachlichen Merkmale nicht geschlossen werden. Wie schon oben erwähnt, war schon vor gut sechs Jahrzehnten Setälä ähnlicher Meinung, mit dem Unterschied, dass er für den Zeitpunkt des Ausscheidens der Urtscheremissen auch die Lostrennung der Urmordwinen und auch Ostseefinnen ansetzt. Auch P. F. Feoktistov vertrat schon vor mehr als zwei Jahrzehnten die Ansicht, das da/3 Mordwinische mit dem Tscheremissichen keine gemeinsame eigene Gruppe bildet (Feokistov 1960, 63). In letzter Zeit beschäftigte sich D. Gheno im Zusammenhang mit den gemeinsamen grammatischen Erscheinungen mit der Frage der wolgaischen Grundsprache (NyK 83: 114-121), und kam ebenfalls zum Schluss, dass keine gemeinsamen Erscheinungenweder im Bereich des Wortschatzes, noch in Morphologie oder Syntax -auf eine Abstammung des Tscheremissischen und Mordwinischen aus einer "wolga-finnischen" Grundsprache verweisen. Die Vorfahren dieser Völker bildeten niemals ein gemeinsames Urvolk miteinander. Andererseits ist allgemein bekannt, dass das Tscheremissische durch zahlreiche gemeinsame Merkmale mit den permischen Sprachen verbunden wird. Odön Beke schloss daraus, dass das Tscheremissische den permischen Sprachen näher steht als dem Mordwinischen. 12 BERECZKI GÁBOR Seiner Meinung nach war Tscheremissisch-Permisch noch eine einheitliche Sprachform als sich das Mordwinische lostrennte; das Tscheremissische selbst löste sich dann zu einem späteren Zeitpunkt aus diesem Verband (NylOK 3: 89). Gegenüber diesen 13 mordwinisch-tscheremissischen Wortzusammenstellungen gibt es im Tscheremissischen 52 (davon im Syrjänischen 44, im Wotjakischen 42) gemeinsame lexikalische Elemente mit den permischen Sprachen, die in den übrigen finnischugrischen Sprachen keine Entsprechung haben. Neben den lexikalischen Übereinstimmungen fmden sich auch zahlreiche morphologische Parallelen, z. B. die identische Reihenfolge von Kasus-und Possessivsuffix im Tscheremissischen und in den permischen Sprachen (vgl. FUM 10: 73). Aufgrund dieser gemeinsamen Merkmaie darf aber auf keinen Fall geschlossen werden, dass das Tscheremissische eventuell mit den permischen Sprachen in eine Gruppe gehören könnte. Die übereinstimmenden Merkmale, die das Tscheremissische mit den permischen Sprachen gemeinsam hat, sind Ergebnis eines sekundären, engen Kontaktes, worauf ich schon früher einmal verwiesen habe .
doi:10.14232/sua.1994.35 fatcat:rssjodf4u5eyzfzlo5ozyefft4