Politics Among Nations: Ein Klassiker des klassischen Realismus?

Oliver Jütersonke
2013 Zeitschrift für Politik  
Die derzeitige Wiederentdeckung Hans Joachim Morgenthaus im Theoriegehäuse der Internationalen Beziehungen (IB) hat vieles über Mann und Werk aufgezeigt -wahrscheinlich sogar mehr, als Morgenthau selbst über sich wusste oder wissen wollte; auch er hätte sicherlich von dieser Literatur dazugelernt. Dass dabei ein wissenschaftlicher Mehrwert entsteht -und nicht nur zusätzliche Meter im Bibliotheksregal -steht wohl außer Zweifel. Doch es wirft auch Fragen auf. Warum gerade (und immer wieder)
more » ... thau? Was ist die Beziehung zwischen einer Denkrichtung, die sich »klassischer Realismus« nennt, und einem Autor, der einen »Klassiker« geschrieben hat -im Fall Morgenthaus eben sein Standardwerk Politics Among Nations: The Struggle for Power and Peace (1948)? 2 Wie Richard Ned Lebow in einem der vielen Sammelbände zu Hans Morgenthau vor einigen Jahren schrieb, gehört es zu den zentralen Funktionen von Grundlagentexten, als inspirierendes Sprungbrett für neue Denkanstöße zu dienen -Texte, die man, Rorschachschen Tintenklecksbildern vergleichbar, Deutungsversuchen frei aussetzen kann. 3 Man verwende also den Klassiker so, wie man will -und trotzdem wird man kontinuierlich von »IBlern« interpretativer Prägung dazu aufgefordert, dem Text doch bitteschön treu zu bleiben und vor allem den Kontext besser zu erläutern, in dem das Werk produziert wurde. Auch ich gehöre zu denjenigen, die sich ständig darüber ärgern, wenn Morgenthau einmal mehr nicht »richtig« verstanden oder gelesen wird. Aber ist dieser Ärger berechtigt?
doi:10.5771/0044-3360-2013-4-452 fatcat:bzvoglknczhahosvkdohbantia