Die Medizin im Zeitalter der medialen Reproduzierbarkeit. Die systematische Verkürzung komplexer Zusammenhänge im Kampf um eine breite Öffentlichkeit

2008 Bulletin des Médecins Suisses  
Die Medizin im Zeitalter der medialen Reproduzierbarkeit In diesem Beitrag soll an einigen Beispielen beleuchtet werden, wie Medien Erkenntnisse, Halb-und Unwahrheiten vermengen und damit systematisch Verunsicherung hervorrufen. Antidepressiva nur wenig wirksamer als Placebo und Cortisonangst Neulich erschien eine Studie in Grossbritannien, die die Wirksamkeit von Antidepressiva relativierte [1]. In dieser Studie, in der drei Medikamente, darunter das als «happy pill» in den USA «over the
more » ... r» (OTC) vermarktete Prozac, untersucht wurden, kamen die Autoren zum Schluss, dass die Antidepressiva nur wenig wirksamer als Placebo gewesen seien. Anders gesagt, um einen Patienten wirksam zu behandeln, muss eine grosse Anzahl Patienten mit dem gleichen Medikament vergeblich behandelt worden sein. Die Studie wurde Chefarzt Wulf Rössler von der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich zur Kommentierung vorgelegt, der -ich glaube es war auf SR DRS 1 -den Sachverhalt als bekannt bestätigte. In der Tat wissen wir, die wir depressive Patienten behandeln, dass es oft notwendig ist, Medikationen umzustellen, Dosierungen zu erhöhen und verschiedene Zusatzstrategien einzusetzen, um schwerere Formen von Depressionen günstig beeinflussen zu können. Soweit also ist das nichts fundamental Neues. Immerhin neu ist, dass mit der Diskussion der Studie in völlig ungeeigneten, weil fachlich überforderten Sendegefässen und Printmedien an Depression Erkrankte aufgeschreckt werden. Im schlechtesten Fall kommt sogar eine wirksame Behandlung bei den Betroffenen in Misskredit. Ein anderes Beispiel ist die in der Sonntagszeitung vom 17. Februar 2008 geschürte Cortison angst. Da wird eine Basler Studie zitiert, in dem die Ärzte vor Cortison warnen, das alles andere als harmlos sei [2]. Konkret ging es darum, dass die durch pharmakologische Dosen von Cortison induzierte Nebennierenrindensuppression thematisiert wurde.
doi:10.4414/bms.2008.13574 fatcat:u3gbldkwpjgbzhjmnjmsmunayy