Typische Fraktur des Gesichtsschädels1)
W. Körte
1913
Deutsche Medizinische Wochenschrift
M. Ei. ! Durch starke Gewalteinwirkungen auf die knöcherne Nase, besonders aber auf die Nasenwurzel und das angrenzende Stirnbein, durch Schlag (Hufschlag), Fall auf das Gesicht oder Ueberfahrenwerden, kommt es zu ausstrahlenden Verletzungen der Schädel-oder Gesichtsknochen, die große Beschwerden, ja auch direkte Lebensgefahr veranlassen. Besonders gefährlich sind in der Beziehung cUe auf die horizontale Siebbeinpiatte fortgepflanzten Frakturen, die leicht zur Meningitis führen, indem von der
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... se und deren Nebenhöhlen aus durch die zerrissene Schleimhaut Infektionsträger in den Bruchspalt, wie in die oft mit eingerissene Dura eindringen. Ferner kann es zu ausgedehnten Bruchspalten in den benachbarten Knochen der Orbita und des Gesichtsschädels kommen Typisch sind dabei Sprünge durch den Oberkieferkörper, durch die beide Oberkiefer in der Verbindung mit den übrigen Schädelknochen gelockert werden. In einem derartigen Falle, den ich vor einigen Jahren zu beobachten Gelegenheit hatte, war die Verletzung infolge eines durchgehenden Pferdes durch Sturz aus dem Wagen gegen die Bordschwelle zustande gekommen und hatte eine besonders kräftig entwickelte Nase betroffen. Die Hauptklage des sehr sachverständigen Kranken war die über Schluckbeschwerden sowie über Inkongruenz der Zahiireihen. Sie waren durch Eintreibung des Oberkiefers und Bruchspalten bis in die Gaumenbeine hinein zu erklären. Die Siebbeinpiatte war zum Glück in diesem Falle nicht beteiligt, und es erfolgte völlige Heilung, ohne Entstellung. Bei einem Patienten, der 7 1/ Monat nach der Verletzung an einer Rückenmarkserweichung zugrunde ging, bestand diese Verletzung des Gesichtsschädels in sehr typischer Weise, und ich kann Ihnen den Verlauf der Bruchuinien an dem vorgezeigten Schadel demonstrieren. Die Krankengeschichte ist kurz folgende: F. H., 25 Jahre alter Mann. Aufnahme-Nr. 3043/1911. Am 15. November 1911 stieß er, auf einem Zweirade sitzend, mit einem Auto zusammen, wurde bewußtlos ins Krankenhaus am Urban gebracht. Es fand sich eine komplizierte Fraktur des linken Stirnbeines, Hämatom der Augenlider, Blutung aus dem linken Nasenloch. Außerdem eine scharfe Schnittwunde an der Beugeseite des linken Vorderarmes, dicht über dem Handgelenk, mit Durchtrennung der Sehnen, des N. ulnaris und der A. ulnaris. -Die Stirnwunde wurde erweitert, es zeigte sich, daß eine starke Einpressung der zertrümmerten Knochen stattgefunden hatte, die Dura war an einer Stelle zerrissen, und Hirnmasse quell heraus. Die linke Stirnbeinhöhle war eröffnet. Nach Abmeißelung der Seitenkanten wurden die Knochenstücke emporgehoben, gereinigt und wieder eingesetzt. Anhaltende venöse Blutung aus dem Duraspalt nötigte zum Einlegen eines Jodoformgazestreif ens, ebenso mußte die Stirnhöhle durch Gazestreifen leicht ausgefüllt werden. Die Haut wurde mit einigen Nähten vereinigt Die durchtrennten Weichteile am linken Handgelenk wurden einzeln vernaht. Der Verlauf war in den ersten Tagen gut, die Temperatur blieb normal. Dann traten leichte Reizerscheinungen von seiten des Hirnes auf, Pulsverlangsamung, Unruhe, leichte Temperatursteigerung bis 38,2. Am 29. November war der Patient leicht benommen, daher wurde in Lokalanästhesie (1 % Novokain) mit Zugabe von einigen Tropfen Aether die bereits verheilte Wunde geöffnet, die leicht verklebten Knochenstücke entfernt und durch stumpfes Eingehen mit der Kornzange ein Abszeß im Stirnlappen entleert und drainiert. Fieber und Reizerscheinungen schwanden darnach, aber am 2. Dezember trat Lähmung beider Beine sowie der Sphinkteren auf. Eine Lumbalpunktion (9. Dezember) ergab klare, sterile Flüssigkeit. Sehr bald entstand trotz aller Vorsichtsmaßregeln ein Decubitus am Kreuzbein, an den Fersen, an den Trochanteren. Die Kopfwunde heilte völlig aus, Hirnsyniptome bestanden nicht. Die langdauernde Anwendung des Wasserbades hielt das Fortschreiten des Decubitus nicht auf. Am 2. Juli 1912, 71/2 Monat nach dem Uni all, trat der Tod an Erschöpfung ein. Die Sektion (Dr. Koch) ergab, daß der Abszeß des linken Stirñlappens vöffig ausgeheilt war; im Dorsalmark bestand ein Erweichungsherd; Fraktur der Wirbelsäule war nicht zu finden. 1) Vortrag i. d. Berliner Gesellschaft f. Chirurgie am 13. Januar 1913. Die genaue Untersuchung des mazerierten Schädels ergab nun folgenden Befund. Die verletzende Gewalt hat die linke Seite des Stirnbeines sowie die Gegend der Nasenwurzel getroffen. An der linken Seite des Stirnbeines war der Knochen mehrfach zersplittert und zum Teil in das Gehirn eingedrückt. (Die jetzt bestehende Oeffnung ist durch den operativen Eingriff zur Eröffnung des Hirnabszesses angelegt worden). Der linke Sinus frontalis ist eröffnet. In der Mitte des Stirnbeines ist eine viereckige Knochenpiatte durch Knoehensprünge umschrieben. Von da strahlen einige Fissuren nach oben und seitlich aus, nach abwärts gehen zwei Fissuren rechts und links in die Orbita hin, deren Decke und innere Seitenwand auf der linken Seite mehrfach zerbrochen ist. Am Gesichtsschädel sieht man eine Längsfissur im linken Nasenbein, sodann gehen beiderseits Sprünge durch den Körper des Oberkiefers. Links umkreist die Bruchiinie den Ansatz des Jochbeines und erstreckt sich nach hinten bis an die Fossa pterygopalatina. Nach oben dringt sie in die Orbitalpiatte des Oberkiefers ein. Am rechten Oberkiefer besteht fast die gleiche Bruchiinie, den Körper vorn und seitlich durchsetzend, bis nahe an das Gaumenbein, dessen Lamina externa auch einen Sprung zeigt. Es ist also durch die gegen die Wurzel der Nase einwirkende Gewalt eine fast symmetrische Heraussprengung des Oberkiefers bewirkt worden. An der Innenfläche der vorderen Schädelgrube ist die linke Orbitalplatte mehrfach gebrochen, sodann zieht sich eine Bruchiinie schräg nach rechts durch das Os sphenoidale einwärts vom Processus clinoideus anterior und durch den Keilbeinkörper bis in die Spitze der Schläfenbeinpyramide. Die erhebliche Verletzung des Gesichtsschädels hat intra vitam nur sehr geringe Symptome gemacht, wenigstens traten sie ganz zurück gegen diejenigen der Verletzung des Stirnbeines und linken Stirniappens. Sämtliche Verletzungen am Schädel kamen zur Heilung, der Tod erfolgte 71/e Monat nach der Verletzung an den Folgen einer Myelitis, die erst 17 Tage nach dem Trauma ziemlich plötzlich in die Erscheinung trat. Eine Meningitis spinalis war, wie die Punktion ergab, nicht vorhanden, auch wurde keine blutige Beimischung im Liquor gefunden. Jedoch muß man die Erkrankung des Rückenmarkes, die zu einer Querschnittslähmung geführt hatte, auch auf die bei dem Unf alle erlittene starke Erschütterung zurückführen. 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doi:10.1055/s-0028-1128072
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