Bemerkungen zur ,Objektivierung des Verstehens' als Aufgabe literarischer Hermeneutik
Dietrich Harth
2015
In seinem Beitrag ,Methoden zur Objektivierung des Verstehens von Texten' führt Hans Glinz ein Verfahren vor, dessen didaktischer Nutzen auf der Hand liegt. Denn nicht nur die Schwierigkeiten der Kommunikation über schriftsprachliche, zumal fiktionale Gebilde und des ihr eigentümlichen intersubjektiven Verständigungsmodus lassen sich auf diese Weise dar stellen, sondern vor allem auch die damit gegebenen Probleme der herme neutischen Kompetenz. Nun scheint Glinz freilich den Voraussetzungen des
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... Verstehens gerade keine besondere Aufmerksamkeit zu schenken, da er bestrebt ist, das Textverständnis eines von ihm als "uneingeweiht" bzw. "neutral" apo strophierten Lesers zu ermitteln. Dabei übersieht er indessen, daß die Gruppe seiner Informanten -Studenten des 5.-14. Semesters -ein Vor verständnis besitzt, das, wie in den abgedruckten Interviews nachzulesen ist, bereits von literaturwissenschaftlichen Begriffen vorgeformt ist. Das auf Gruppenkonsens beruhende "Rahmenverständnis" des interpretier ten Textes ist mithin unter institutionell geregelten Bedingungen zustande gekommen, die den hermeneutischen Voraussetzungen des "uneingeweih ten" Lesers nicht mehr entsprechen. Es scheint mir überhaupt fraglich, ob der bloße Konsens über einen beliebigen Text schon mit dessen Verständ nis sich gleichsetzen läßt. Man wird dies, folgt man dem von der philoso phischen Hermeneutik gegebenen Hinweis auf die in allem Verstehen wirk same Überlieferungsgeschichte der Literatur, verneinen müssen 1 . Von ihr ließ sich nicht nur die Wahl des von Glinzens Informanten interpretierten Textes leiten, sondern, so vermute ich, auch die erste in dem Beitrag geäußerte "Möglichkeit eines Gesamtverständnisses", deren "Verbindlichkeit" oder "Beweiskraft" nicht zwingender ist, als die mancher der vom Vf. zitierten und kritisierten Interpretationen. Der bloße Gruppenkonsens, der, was nicht übersehen werden darf, seine exogenen (institutionalisierte Begriffsbildung usw.) und endogenen (Meinungen des Gruppenleiters usw.) Bedingungen hat, verbürgt, solange er nur auf die über den Text geäußerten Meinungen bezogen ist, noch keine größere Objektivität des Verstandenen im Sinne jenes Vermeidens von Mißverstand, das die traditionelle Hermeneutik methodisch abzusichern suchte. r H.G. Gadamer, Wahrheit und Methode. Grandzüge einer philosophischen Herme neutik, 2. Aufl., Tüb. 1965, S. 250 ff.
doi:10.11588/heidok.00018347
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