ΧIII. Ueber Krystallsysteme, deren Definition und Erkennung
V. Goldsehmidt
1899
Zeitschrift für Kristallographie - Crystalline Materials
Die sechs Krystallsysteme bildeten bis vor Kurzem unbestritten die Haupteintheilung der Krystalle, die Grundlage der krystallogräphischen Systematik und Noinenclatur. Als Unterabtheilungen erschienen Hemiedrien und Hemimorphien. Neuerdings geht eine starke Strömung dahin, die sechs Systeme über Bord zu werfen und an deren Stelle als Haupteintheilung 32 Symmetrieklassen zu setzen. Diese Bewegung, die didactisch eingreift, eine neue Nomenclatur bringt, auch den Gang _ der Untersuchungen
more »
... t, wurde wesentlich gefördert dadurch, dass Groth in seinem verbreiteten »Lehrbuch der physikalischen Krystallographie« (III. Aufl. 1895), sowie in seiner »Tabellarischen Uebersicht« 1898 die Klassentheilung durchführte. Andere Krystallographen sind den gleichen Weg gegangen, und es scheint, als ob die meisten, die es noch nicht gethan haben, sicli anschliessen wollten. Meist wohl mit einigem Unbehagen, das sich besonders beim Lehren geltend macht und das bewirkt, dass Viele im Princip die 32 Klassen annehmen, aber für den Unterricht, wie für den eigenen Gebrauch bei den sechs Systemen und ihren Unterabtheilungen bleiben. Zweck vorliegender Publication ist nun, darzulegen, dass ein Festhalten an den sechs Systemen als Grundeintheilung der Krystalle angezeigt und durchführbar ist, wenn wir eine neue Definition einführen. Ueber Krystallsysteme sind heute wesentlich drei Lehrmeinungen geltend, die sich in folgenden Citaten aussprechen: A. Aus den Eigenschaften der Axen der Grundpyramide bei G. S. Weiss und seinen Nachfolgern, der Seiten des Grundprismas bei A. L6vy und seinen Nachfolgern. Brought to you by | provisional account Unauthenticated Download Date | 5/18/15 1:06 AM V. Goldsclnnidl. Dana, System ISÖJ. 2G: »Tin; systems of er is tal lisa ti ο η are bound on certain relations in the axes of the forms. In forms belonging to the same system the axes are alike in number and in their mutual sections and general relations as to length.« Ii. Aua der Symmetrie der idealisirten holoedrischen Formen. M. Bauer, Lehrb. d. Min. 1886, S. 42: »Ein Κrystallsystem ist der Inbegriff aller Krystalle, welche denselben Grad der Symmetrie besitzen. Krystalle von gleichem Grad der Symmetrie sind solche, welche dieselbe Zahl von Sy mmetricebenen besitzen.« S. 41: »Eine solche Ebene, zu welcher die sämmtlichen Flüchen, Kanten und Ecken eines Krystalles symmetrisch liegen, heisst Syiniii e tri ee bene.« C. Aus der Zusammenfassung mehrerer der 32 Symmetrieklassen. Groth, Physik. Kryst. 3. Aufl., S. 523: »Die im Vorhergehenden erfolgte systematische Behandlung der Krystallographie ging von den einfachsten Krysta 1 lfοrmen, d. h. von denjenigen mit dem niedersten Grad der Symmetrie aus und gelangte durch Zufilgung neuer Symmetrieelemente nach und nach zu den höchst symmetrischen jener 32 Klassen, deren jede ein für sich bestehendes, durch bestimmte Symiii e trieverhäl tni sse c h a rak ter i sir t es Ganze darstellt.« »Die Zusammenfassung bestimmter Symmetrieklassen zu einer Gruppe (Kr y s tall sy s tern), -welche der leichteren Uebersicht wegen benutzt wurde, beruht auf rein praktischen Erwägungen und ist in gewissem Sinne sogar willkürlich. Diese Gruppen bilden nun die Grundlage der bisherigen Darstellungen der Krystallographie.« Wir wollen diesen zwei neue Definitionen gegenüberstellen: D. Aus der Symmetrie der Elemente, indem wir sagen: Krystallsystem ist der Inbegriff aller Krystalle von gleicher Symmetrie der Elemente. Ii. Aus der Zahl der variablen Elemente, indem wir sagen: Krystallsystem ist der Inbegriff aller Krystalle mit gleicher Zahl der variablen Elemente. Ckaraktei'isirung der Krystallsystem β ans Definition D und E. Die Definitionen D und Ε sind zunächst krystallometrisch (formbeschreibend). Dabei hat das Wort »Elemente« eine bestimmte bekannte Bedeutung. Sie sind aber zugleich physikalisch und genetisch brauchbar. Dann bedarf das Wort »Elemente« eines anderen Commentars. Elemente einer Krystallart sind krystallometrisch die Maasse (Längen mit Richtungen), durch die sich die Position jeder typischen Fläche der Krystallart am einfachsten rational ausmessen lässt. Dass dies möglich ist, ist eine aus der Erfahrung genommene Eigenschaft der Krystalle (Gesetz von der Rationalität der Indices). Brought to you by | provisional account Unauthenticated Download Date | 5/18/15 1:06 AM L'eber Krystallsystemc, deren Definition und Erkennung. 137 Wir unterscheiden Polarelemente q ü r" λ μ ν) und Linearelemente (a 0 i 0 c 0 α/iy). Jede der beiden Arten kann unter dein Wort »Elemente« der Definition verstanden werden. Die Darlegung möge hier für die Polarelemente gegeben werden, die ich für krystallometrische Untersuchungen vorziehe. Die Analogie für die Linearelemente ergiebt sich unmittelbar. Zahl der variablen Elemente. Bestimmbare Elemente. Die Längen p tj q, t r u sind die Maasseinheiten der Kraft in den Richtungen λμν. Wir können sie Elemente der Intensität nennen. Von diesen sechs sind variabel: im regulären System 1, im einaxigen (hexagonalen und tetragonalen) 2, im rhombischen 3, im monoklinen 4, im triklinen 6. Wir sind derzeit nicht in der Lage, die Intensitäten zu bestimmen, nur ihr Verhältniss p 9 : q 0 : r 0 resp. ρ ϋ : : 1 bei derselben Krystallart. Wir können nicht die Intensitäten p Q q (l r 0 zwischen den verschiedenen Krystallarten messend vergleichen. Dadurch vermindert sich die Zahl der bestimmbaren variabeln Elemente um 1. Wir haben deren für die sechs Systeme: 0, 1, 2, 3, 5. Sicher ist r 0 , d. h. die Anziehung der Partikel senkrecht zur Würfelfläche, beim Steinsalz eine andere als beim Diamant. Aber wir können das Verhältniss der r g beider nicht messen. Es ist zu erwarten, dass dies eines Tages gelingt. Wohl aus der Cohäsion. Dann erhalten wir die volle Zahl der sechs Elemente. Anmerkung Ί. Die Werthe v s ' n d für das Krys tallsys tem als Ganzes Variabele, für die einzelne Krystallart Constante. Danach liegt kein Widerspruch darin, dass wir sie einmal Constante, das andere Mal Variabele nennen. Streng genommen sind Poio r o^, u v auch bei derselben Krystallart nur constant für gleichen Druck und gleiche Temperatur. Anmerkung 2. Die krystallometrischen Elemente können in anderer Form gegeben werden, ζ. B. als Längen lind Winkel der primären Prismen (L6vy), als Elemente der Polarprojection p^q^vx^y^h 1 ), oder der Linearprojection a^bfjyxQ'y^'k 1 ) oder als unabhängige Winkel 2 ), z.B. 0 : ooo; 0:oo0; OOO : ooO ; 0:01; 0:10. Die Zahl der variabeln Elemente bleibt constant und charakteristisch für das System. Abbildung der Polarelemente. Polarform. 4 Die Polarelemente p 0 q 0 [r 0 = \) λ μ ν seien bekannt. Ihre Bestimmung ist Aufgabe der Messung und Berechnung. Wir bilden sie folgendermaassen ab. Wir tragen von einem Punkt Μ (Fig. 1) aus die Längen ^o?o r o nac h beiden Richtungen unter den Winkeln λμν auf. Sie bilden ein Axenkreuz (Polaraxen). Polarform ist die Ergänzung zum Parallelepiped, so dass die Polaraxen die Kanten und Mittellinien der Polarform bilden.
doi:10.1524/zkri.1899.31.1.135
fatcat:azsuhaa52fbchbwlom43klhele