M. L. Pasteur "Ueber die Abschwächung der Hühner-Cholera"
H. Buchner
2009
Deutsche Medizinische Wochenschrift
II. Buelmer in Milnehen. Der berühmte Chemiker hat sich entschIosen, the Methode mitzutheilen, deren er sich bei seinen wichtigen Experimenten über die Ver-. änderung resp. Abschwächung des Contagiums, welches die Cholera der Hübner bewirkt, bedient hatte. Zur Orientirung des Lesers dürfte es zweckmässig sein, bevor wir diese Methode besprechen, die hauptsächlichen Resultate der Pa st pursehen Untersuchung über den genannten Kranklieitsprocess nochmals kurz hier zu resumiren. Sie lauten: Die
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... lera der Hühner ist ein inlectiöser Process, verursacht durch einen mikroskopischen Organismus" dez-sich ausserhalb des líorpers rein cultiviren und durch fortgesetzte Züchtungen vermehren lässt ohne seine infectiöse Wirkung zu verlieren , so diss derselbe mit Sicherheit als die einzige Ursache der Erkrankung und des Todes betrachtet wer-. deis muss. Der InfecLionsstolî kommt in verschiedenen Zuständen vor ; bald bewirkt er todtliche Erkrankung, bald ruft er nur.krankhafte Erscheinungen von verschiedener Intensität hervor, die aher von Heilung gefolgt sind. Der letztere Zustand kann experinientell aus dem stark wirkenden erzeugt werden. Die Cholera der Hühner befalit das Individuum nur einmal, oder wenigstens zeigen die durch spätere ¡nfectiouen hervorgerufenen Erkrankungen einen abnehniend weniger bösartigen Charakter , und durch wiederholte Impfungen kann in jedeni Falle schliesslich vollständige Immunität erzeugt werden. Da nun auch der abgesctiwächte lnfectiousstoff, der nur Erkrankung aber nicht den Tod bewirkt, diese Immunität erzeugt, so besteht offenbar eine Analogie mit dem Verhalten von Variofa und Vaccine. Der Unterschied liegt aber darin, dass, während die inneren, genetischen Beziehungen des Variola-und Vaccine-Contagiums noch fraglich sind, bei der Cholera der Hühner dieser Zusammenhang vollständig klar zu Tage liegt. Soweit war Pasteur in seiner früheren Mittheilung gelangt. Gegenwärtig nun handelt es sich hauptsächlich um die Art und Weise, wie Pasteur die Abschwächung des Contagiums erreichte. Nimmt man sehr wirksames Conta glum und züchtet dasselbe in Hühnertleisclibrühe in aufeinander folgenden Culturen, so ändert sich die infeetiöse Wirksamkeit nicht in bemerkbarer Weise. Lasst man dagegen zwischen den einzelnen Züchtungen lange Zeit veriliessen d. h. lässt man die Pilze geraume Zeit in der nämlichen Nährlösung verweilen, ohne dieselben weiter zu züchten, so ändert sich durch die lange Dauer des AufinthaJts in dieser verbrauchten Nährlösung alimälig ihre Natur, sie werden weniger infeetiös und bewirken nach einiger Zeit nunmehr Erkrankung mit Ausgang in Heilung, während die ungeschwächten bei-nahe in jedem einzelnen Falle den Tod verursachen. 642 Diese Umwandlung des Contagiums wird erst nach Monate langem Stehenbleiben der Culturen deutlich, kann übrigens an dem mikroskopischen Aussehen der sehr kleinen, körucheuförmigen Pilze in keiner Weise erkannt werden. Wichtig ist der Umstand, dass das geschwächte Contagium durch fortgesetzte Cultum-in künstlicher Nährlösung seine Natur nicht ändert, ebensowenig das stark imifectiös wirkende. Pasteur gelangte schliesslich auch dazu, die Frage nach der tJrsache der Veränderung zu erheben und er fand, dass dem Sauerstoff in dieser Beziehung eine wichtige , ja eine entscheidende Rolle zukomme. Während Culturen des Hühner-Cholerapilzes , die man unter dem Einfluss des SauerstofFes sich selbst überlässt, allmälig wie erwähnt mehr und mehr an ihrer infectiösen Wirksamkeit verlieren, so ist dies keineswegs der Fall, wenn insu die Sauerstofizufuhr zur Cultur beschränkt resp. verhindert. Pasteur stellte diese Experimente in der Weise an, dass er die Züchtung in Glasröhren vornahm, die etwa zu 3/4 ihres Inhalts mit Nährlösung gefüllt waren und die, nach Einbringung der Aussaat, zugeschmolzen wurden. Auf Kosten des mit eingeschlossenen Sauerstoffs entwickelten sich nun die Pilze, triibten die Nährlösung. setzten sich aher nach 2 oder 3 Tagen am Boden und an den Waudungen ab, so dass die Flüssigkeit klar wurde. Der Sauerstoff war jetzt vollständig oder zum grössten Theile verbraucht. Derartig behandelte Culturen konnten nun beliebig lange (Pasteur kam vorläufig bis zu 10 Monaten) aufgehoben werden, ohne dass das Contagium irgend eine Abnahme seiner iufectiösen Wirksamkeit bei Impfungen erkennen liess. -Soweit Pasteur's Mittheilungen. Es ist kein Zweifel, dass wir uns hier sehr wichtigen Thatsachen gegenüber befinden, deren Eutdeckung um so freudiger zu begrüssen ist, je mehr. die Frage nach der Veränderlichkeit der Pilzuatur täglich an Interesse und Bedeutung gewinnt. Zu bedauern bleibt nur, dass Pasteur zu sehr Chemiker und zu wenig Physiologe ist, um denjenigen Fragen Aufmerksamkeit zu schenken, welche sich nun zunächst bezüglich der von ihm ermittelten Thatsachen aufdrängen. Pasteur hat den Pilz der Hühner-Cholera nur in Fleischsuppe aus Hühnerfleisch gezüchtet, und er gicht an, dass es ihm nicht gelungen sei, denselben in Hefenabsud , seiner gewöhnlichen Nährlösung für derartige Spaltpilzformen, zu vermehren. Es wäre nun doch die wichtigste Aufgabe, zu erforschen , ob sich denn keine küustlich zusammengesetzte Nährlösung findet, die ebenfalls die Züchtung ermöglicht, resp. ausfindig zu machen, worin denn die besondere Tauglichkeit der Hühnerfleischbrühe begründet ist. Sollte es näirihich gelingen, den Pilz, wenn auch alimälig, d. h. in einer Reihe von Culturen, an andere Ernährungsbedingungen zu gewöhnen , dann dürfte man mit Wahrscheinlichkeit eine ähnliche ja sogar eine viel rascher eintretende Schwächung seiner infectiöseu Wirksamkeit erwarten wie bei dem Pasteur'schen Verfahren des Steheulassens in einer verbrauchten Nährlösung, und es würde vermuthhich ebenso gelingen, denselben seiner specifischen Eigenschaften zu entkleiden, wie ich dies beim Pilze des Milzbrandes erreichen konnte. Die Pasteur'sche Methode der Abschwächung beruht eigentlich auf einer Degenerirung des Pilzes durch Wachstliuni unter ungünstigen Ernährungsbedingungeu. Allgemein betrachtet ist dies keineswegs etwas Neues. Nägeli hat schon vor Jahren gefunden, dass Alkoholhefe, die Insu bei Sauerstoffmangel wachsen und Gährung ausüben lässt, alimälig degenerirt und schliesslich in denjenigen Nährlösungen, in denen sie sich früher lebliaft vermehrte und in denen sie starke Gährung bewirkte, nicht mehr zu vegetiren vermag. Analoge Erfahrungen habe ich auch für gewisse Spaltpilzformen beim Wachsthum unter ungünstigen Ernährungabedingungen nischen können. Neu und höchst wichtig aher ist die Angabe, dass auf diesem Wege aus einem sehr gefährlichen Krankheitspilz ein relativer unschädliche, experimentell erzeugt werden kann, der nun aber in seiner Eigenart haltbar und , wenIgstens durch Cultur in Hühnerfleischbrühe nicht veränderlich ist, d. h. also eigentlich ein neues Contagiumn von andern specitischen Eigenschaften als das ursprüngliche. Es wäre sehr zu wünschen, dass Pasteur gerade diesem letzteren Punkte besondere Aufmerksamkeit zuwenden würde. lu seinen Mittheilungen finde ich nämlich keine Angabe darüber, ob die abgeschwächte Hühner-Cholera von Thier zu Thier übertragen wurde, und oh das Contagium dabei seine verminderte Energie beibehalten habe, oder ob es etwa sich wiederum zur anfänglichen Intensität entwickelte. Gerade diese Entscheidung wäre aber für unsere Einsichten von grösster Bedeutung, und es scheint mir, dass die von Pasteur angezogene Parallele zum Verhalten von Variola gegen Vaccine erst dann ganz stichhaltig wird, wenn die zweite der aufgestellten Möglichkeiten experimentell widerlegt ist. Was nun den Process der Abschwächung des Contagiwns selbst anbelangt, so beruht derselbe wie erwähnt auf einem langsamen Wachsthum der Pilze unter ungünstigen Ernährungsbedingungen. Sobald die Nahrungsstoffe in der Fleischbrühe von den Pilzen nahezu verbraucht sind, wird deren Vegetation eine sehr spärliche, sie erlischt aber bei Zutritt des Sauerstoffs Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.
doi:10.1055/s-0029-1195670
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