EBM / Evidence-based Management in der Medizin
2006
Schweizerische Ärztezeitung
Evidenzbasierte Medizin -definiert als «die gewissenhafte, explizite und vernünftige Anwendung der besten medizinischen Informationen in der täglichen klinischen Entscheidungsfindung» -spielt eine immer bedeutendere Rolle im klinischen Alltag [2]. Die in erster Linie aus wissenschaftlichen Studien gewonnene Evidenz soll klinische Erfahrung und Intuition nicht ersetzen, sondern ergänzen. Sie soll Ärzte, Pflegende und andere Gesundheitsberufe unterstützen, optimale klinische Entscheide zu fällen,
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... und soll vor allem obsolete, überholte und falsche Informationen vom Krankenbett und den Patienten fernhalten. Jeffrey Pfeffer und Robert Sutton fordern in der Januar-Ausgabe der «Harvard Business Review», dass auch Manager ihre Entscheide vermehrt evidenzbasiert fällen sollten [1]. Was in der Medizin tauglich ist, kann dem Management nur billig sein, denn auch im Management grassiere die Untugend, dass Erfahrungen, Konzepte und Methoden unreflektiert angewendet oder aus anderen Bereichen oder einer anderen Firma übernommen werden. Vor allem blindes Kopieren von dem, was erfolgreiche Personen oder Institutionen tun, führt im (seltenen) besten Fall zur perfekten Imitation und in allen anderen zu mindestens ungenügenden Resultaten. Gilt dies auch für Management in Spitälern und anderen Gesundheitseinrichtungen? Ganz besonders, kann man meinen, denn gerade hier -mehr noch als in anderen Organisationen -orientieren sich Führungspersonen und Entscheidträger häufig an ( überholter) Erfahrung und unreflektierter Übertragung von Instrumenten aus anderen Kontexten. Zudem erschweren spezifische Rahmenbedingungen, beispielsweise der Politik, der Ökonomie oder der Professionen, eine wirkungsvolle Entscheidfindung und verführen simplifizierte Konzepte zu demotivierender Ergebnislosigkeit [3]. Und gleichzeitig ist die Medizin der einzige Bereich, in dem sich das evidenzbasierte Vorgehen bereits breit institutionalisieren konnte (Evidence-based Medicine, Evidence-based Nursing, Evidence-based Practice). Die Ziele bzw. die Nutzen von EBM -unabhängig davon, ob das M für Medizin oder Management steht -sind dieselben: es geht darum -Entscheidfindung und Managementmassnahmen aufgrund bestehender (wissenschaftlicher) Erkenntnisse zu validieren und wirkungsvoll zu gestalten; -Erkenntnisse zu Konzepten und Instrumenten zu entwickeln und in einem breiten Kreis kritisch zu diskutieren und -Wissen solcherart für die Managementpraxis, für Aus-, Weiter-und Fortbildung und die Forschung zur Verfügung zu stellen. Ein Problem oder mindestens eine der zentralen Fragen hier wie dort ist jene nach der «guten Evidenz». In der evidenzbasierten Medizin wird den sogenannten randomisierten, kontrollierten Studien -wenn auch heftig diskutiert -der Status eines Goldstandards zugesprochen. Die Kritik dabei zielt auf die Wertigkeit von «signifikanten Resultaten», welche primär als statistisch formulierte Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhanges zwischen beobachteter Wirkung und intendierter Ursache und nicht als Kausalitätswirklichkeit zu verstehen sind. Gleiches gilt natürlich für evidenzbasiertes Management, daswenn wir Management in seiner grundsätzlichen Bedeutung als Steuerung verstehen -als wissenschaftlich nachgewiesene Wirksamkeit für ebendiese Steuerung umschrieben wird. Unabhängig davon, auf welcher Ebene Management stattfindet oder betrachtet wird, findet es immer in einem grösseren Kontext statt und greift in komplexe Wirkungszusammenhänge und Abhängigkeiten ein. Eine beobachtete Wirkung kann also nicht ohne weiteres einer evaluierten Managementmassnahme oder einem -instrument zugeschrieben werden, sondern auch Folge von (unbeobachteten) Interdependenzen sein. Bedeutsam ist dies offensichtlich Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2006;87: 22
doi:10.4414/saez.2006.11987
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